Unbekannt ist weitgehend, dass der am 16. Juli bekanntgegebene Kommissionsvorschlag zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben neben den vielen, zur Zeit weitgehend kritisierten Regulierungen gleich nach der Einleitung auch noch ein generelles Verbot festlegt. Wir zitieren diesen Teil des Entwurfs (Hervorhebungen, außer der Überschrift, von uns):
„Bestimmte Angaben sind überhaupt nicht zugelassen.
Aus diesem neuen Ansatz für gesundheitsbezogene Angaben ergibt sich, dass alle bei der Kennzeichnung, Vermarktung und Werbung eingesetzten Informationen über Lebensmittel und ihren Nährwert, die nicht klar, zutreffend, aussagekräftig und nachprüfbar sind, damit nicht zulässig sind. Dies betrifft vage Angaben, die sich auf das allgemeine Wohlbefinden (z.B. 'hilft Ihrem Körper, mit Stress fertig zu werden', 'hält jung', oder auf psychische Verhaltensfunktionen (z.B. 'verbessert das Gedächtnis' oder 'verringert Stress und macht optimistisch') beziehen.....Verweise auf Aussagen oder befürwortende Stellungnahmen von Ärzten oder anderen Gesundheitsexperten sind nicht zulässig, da sie den Eindruck erwecken könnten, der Verzicht auf das betreffende Lebensmittel könnte die Gesundheit beeinträchtigen. Gesundheitsbezogene Angaben über alkoholische Getränke mit mehr als 1,2 % Alkohol sind ebenfalls untersagt, da Alkohol bekanntermaßen gesundheitliche und soziale Probleme verursachen kann. Zulässig sind nur Angaben hinsichtlich einer Verringerung des Alkohol- oder Energiegehalts.”
Soweit das Zitat aus dem Entwurf. Also, ein weiterer Schritt zum dirigierten, drangsalierten Bürger und zu der von Besserwissern politisch bevormundeten Wirtschaft und Gesellschaft.
Bis zur gleichartigen Einschränkung der redaktionellen Arbeit ist es von da aus nicht mehr so weit. Wer eine solche Prognose für übertriebene Schwarzmalerei hält, sollte unter anderem bedenken:
-- In der bereits rechtswirksam beschlossenen Richtlinie der Europäischen Kommission zum Verbot, für Tabakerzeugnisse zu werben oder sonst den Verkauf dieser Erzeugnisse zu fördern, werden jedenfalls nach ihrem Wortlaut positive redaktionelle Beiträge mit der Werbung gleichgestellt. Unmittelbar oder auch nur mittelbar positive redaktionelle Texte und Bildpublikationen sind demnach verboten.
-- In einem EU-Entwurf zum Verbot „geschlechterspezifischer Benachteiligungen” außerhalb des Berufslebens werden die Werbung und die Medien schlechthin von vornherein ausdrücklich gleichgestellt. Medien müssen nach dem Entwurf wie werbende Firmen in gerichtlichen Verfahren beweisen, dass sie nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen haben.
-- Und wenn nicht schon der Wortlaut ausdrücklich gleichstellt, dann wird der allgemein anerkannte rechtsmethodische Grundsatz der Gleichbewertung des Gleichsinnigen - schneller als man so denkt - das Übrige tun. Warum soll denn redaktionell zulässig sein, was der Werbung aus Gründen des (angeblichen) Gemeinwohls untersagt ist? Redaktionelle Texte und Bildpublikationen sind doch noch „gefährlicher”, weil der Leser ihnen vertraut und sich von ihnen noch stärker beeinflussen läßt. Mit dieser Gegenargumentation müssen die Medien vor allem rechnen, wenn Güter gegeneinander abzuwägen sind; - zum Beispiel Persönlichkeitsrechte einerseits gegenüber der Presse- und Informationsfreiheit andererseits. So, wenn Eltern geltend machen, ihre Persönlichkeitsrechte und die Persönlichkeitsrechte ihrer Kinder würden durch redaktionelle Beiträge auch dann verletzt, wenn sich die Redaktionen wahrheitsgemäß, aber teilweise positiv mit dem maßvollen Gebrauch von Süßwaren oder leichten Tabakerzeugnissen und der Nützlichkeit von Autos, Motorrädern und Fahrrädern (mit denen Menschenleben gefährdet werden) oder womit sonst auch immer auseinandersetzen.
-- Der EU-Kommissar für Justiz und Inneres, Vitorino, will da nicht nachstehen. Er beabsichtigt, am kommenden Dienstag einen verheerenden Gestzesvorschlag zu „nichtvertraglichen Schuldverhältnissen” vorzulegen. Nach ihm soll jeweils das Recht des Staates anwendbar sein, in dem ein (behaupteter) Schaden entsteht. Die Redaktionen müssen demnach mit ihren Juristen die nationalen Rechte von 25 Staaten beherrschen.
-- Hilft den Medien denn nicht die Verfassung? Es ist doch anerkannt, dass die Pressefreiheit für die Demokratie schlechthin konstituierend ist. Am 17. Juli haben wir an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, dass die EU-Verfassung, wie sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verabschiedet werden wird, einerseits nur kurz versichert, die Freiheit der Medien werde geachtet, andererseits jedoch kollidierende Güter mit Vorliebe ausgestaltet. So hebt sie, folgt man ihrem Wortlaut, in den Bestimmungen zu den Persönlichkeitsrechten sogar das Redaktionsgeheimnis und damit die Basis eines großen Teils der redaktionellen Arbeit auf.
-- Die finanziellen Einschränkungen der Redaktionen durch die EU-Werbeverbote werden nach und nach schon besser erkannt. Wie lange es dauert, bis Gefahren beachtet werden, belegt aber gerade auch dieser Aspekt der finanziellen Einschränkungen. Der Verfasser dieser Zeilen hat im Jahre 1998 auf einer Tagung des Studienkreises für Presserecht und Pressefreiheit in einem Statement für die Verlage ausgerechnet, dass allein durch die Werbeverbote, wenn der Domino-Effekt greift, Einnahmen verloren gehen, mit denen 580.000 redaktionelle Seiten finanziert werden.
„Wehret den Anfängen” als Empfehlung verharmlost demnach die Gefahren.
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