Gestern hat der Bundesgerichtshof ein 23 Seiten (!) umfassendes Urteil vom 21. April 2016, Az. I ZR 151/15, veröffentlicht, in dem er diese Frage nach dem „Verkehrsverständnis” beantwortet. Zum Verkehrsverständnis stellt der BGH wie üblich nach dem europäischen Verbraucherleitbild darauf ab, wie „ein durchschnittlich verständiger und situationsadäquat aufmerksamer Versicherungsnehmer” diese Formulierungen versteht. In einem Leitsatz fasst der BGH zusammen:
Allein die unter den Rubriken "Es betreut Sie:" oder "Ihr persönlicher An-sprechpartner" erfolgte Angabe des Namens und der Kontaktdaten eines für den Außendienst des Versicherers tätigen Mitarbeiters in einem Schreiben an den Versicherungsnehmer, das an diesen über den Versicherungsmakler des Versicherungsnehmers übersandt wird, führt nicht zu der Gefahr, dass der Versicherungsnehmer zu der Fehlvorstellung veranlasst wird, der genannte Mitarbeiter sei als alleiniger Ansprechpartner anstelle des Versicherungsmaklers oder als gleichwertiger Ansprechpartner neben diesem für die Betreuung des Versicherungsnehmers zuständig.

Anmerkungen
1.
Gestritten hatten:
a. Eine Versicherungsmaklerin (eine Firma, Klägerin). Sie berät Versicherungsnehmer in Versicherungsangelegenheiten und vermittelt Versicherungsverträge. Sie ist von einem Versicherungsnehmer durch einen Versicherungsmaklervertrag zur Regelung seiner Versicherungsverhältnisse u.a. beauftragt worden.
b. Beklagte war ein Versicherungsunternehmen. Zwischen der Beklagten und dem von der Klägerin betreuten Versicherungsnehmer wurde ein Vertrag über eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen.
2.
Die Beklagte übersandte der Klägerin zum Zwecke der Weiterleitung an den Versicherungsnehmer ein Schreiben sowie einen Versicherungsschein. Das an die Klägerin adressierte Schreiben enthielt in seinem Briefkopf neben der Firma und der Adresse der Beklagten sowie ihren Bankverbindungsdaten die Angaben „Ihr persönlicher Ansprechpartner” und „Es betreut Sie”.
3.
Die Klägerin, also die Maklerin, machte geltend, allein sie und nicht die Beklagte sei Ansprechpartner des Versicherungsnehmers in allen Angelegenheiten des Versicherungsverhältnisses. Die Benennung von Anderer unter der Angabe "Es betreut Sie:" in dem Begleitschreiben sowie unter der Rubrik "Ihre persönlichen Ansprechpartner" im Versicherungsschein sei wettbewerbsrechtswidrig, weil der Versicherungsnehmer über diesen Umstand in die Irre geführt werde.
4.
„Ein durchschnittlich verständiger und situationsadäquat aufmerksamer Versicherungsnehmer” ist nur ein Hilfskriterium. Mit Hilfe dieses Kriteriums äußern die Gerichte nur in Wirklichkeit Ihre Meinung über die (von ihnen vermutete) Verkehrsauffassung als Tatsache, die zuverlässig nur mit einer repräsentativen Umfrage ermittelt werden kann.
5.
Dies bedeutet: Wenn Sie annehmen, die Kriterien würden anders verstanden, dann sind Sie nicht dümmer als die BGH-Richter. Wer Recht hat, kann eben nur eine repräsentative Umfrage zur Ermittlung einer Tatsache klären. Da jedoch nicht stets Umfragen durchgeführt werden können, müssen Sie sich mit der BGH-Einschätzung begnügen, solange keine Umfrage etwas Anderes ergibt.
6.
Der Verf. dieser Zeilen vermutet aufgrund seiner Rechtstatsachen-Erfahrungen, dass jedenfalls ein erheblicher Teil der Versicherungsnehmer die Kriterien anders versteht als der BGH, so dass doch irregeführt wird und der Rechtsstreit gegenteilig hätte entschieden werden müssen.
7
Wir erhalten regelmäßig Anfragen, wenn sich Kolleginnen oder Kollegen mit dem Verkehrsverständnis bei einem Fall befassen müssen. Sie können sich schnell zur Bedeutung und zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses informieren, wenn Sie links in die Suchfunktion eingeben: „Verkehrsauffassung” oder auch „Dezisionismus”.