Der Fall:
Die Klägerin ist die Selbstverwaltungsorganisation zugelassener Rechtsanwälte. Die Beklagte ist ein Versicherungskonzern, in deren Internetauftritt sich eine mit „Kundenanwalt" bezeichnete Unterseite findet. Dort wird unter der Überschrift „Der Kundenanwalt" ausgeführt: Sie fühlen sich durch eine Entscheidung oder Leistung ungerecht behandelt? Sie konnten mit einer Beschwerde kein für Sie nachvollziehbares Ergebnis erzielen? Der Kundenanwalt ist, so der Versicherungskonzern in seinem Internetauftritt, die Stimme der Kunden im Unternehmen. Er und sein Team kümmern sich um Ihr Anliegen und setzen sich für Klärung und Schlichtung ein.“ Der Kundenanwalt ist aber kein Rechtsanwalt, sondern ein Mitarbeiter der Beklagten, der auch nicht rechtsberatend tätig ist, worauf in einer Erläuterung auf der Internetseite hingewiesen wird.
Das Urteil:
Die blickfangmäßige Werbung wurde vom OLG Düsseldorf (I-20 U 168/13) als unlauter verboten. Unlauter handelt nach § 5 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt, also unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben macht. Ob eine Werbeaussage unwahre Angaben enthält, richtet sich nach dem Verständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers. Dessen Erwartungen konnte im vorliegenden Fall das OLG selbst beurteilen, da sich die Werbeaussage der Versicherung an die Allgemeinheit gerichtet hat. Zur Feststellung der Verkehrsauffassung sah sich der Tatrichter als Teil dieser Allgemeinheit ohne weiteres in der Lage. Das Gericht hat klargestellt, dass es nicht erforderlich ist, dass alle Angehörigen oder auch nur der überwiegende Teil der angesprochen Verkehrskreise irregeführt werden; es genügt die Irreführung eines erheblichen Teils. Nach der Auffassung des Gerichts ist Anwalt nach der Verkehrsanschauung der Rechtsanwalt. Denn der Duden nennt als Bedeutung von „Anwalt" an erster Stelle den „Rechtsanwalt" und erst danach die allgemeinere „Verfechter einer Sache; Fürsprecher". Der „Kundenanwalt" soll gerade nicht die kollektiven Interessen der Gesamtheit der Versicherten vertreten, sondern sich um konkrete Anliegen einzelner Versicherter kümmern. Die Vertretung bei der Wahrnehmung individueller vertraglicher Ansprüche ist eine typische anwaltliche Tätigkeit. Insoweit folgt die Begriffsbildung „Kundenanwalt" hier dem im Bereich der rechtsanwaltlichen Werbung etablierten Trend, die Spezialisierung auf die Vertretung vermeintlich oder tatsächlich benachteiligter Gruppen in der Selbstbezeichnung zum Ausdruck zu bringen. Die von der Klägerin genannten Beispiele „Opferanwalt", „Verbraucheranwalt" oder „Schuldneranwalt" lassen sich, so das Gericht, noch um den „Mieteranwalt" und den „Patientenanwalt" ergänzen. In diese Reihe fügt sich nach der Auffassung des Gerichts der „Kundenanwalt", der die Kunden der Versicherung vertritt, nahtlos ein. Der „Kundenanwalt" ist in die in der Kopfzeile der Seite angezeigte Rubrik „Versichern heißt Verstehen" eingebettet, ein Slogan, auf dem die breit beworbene Imagekampagne der Beklagten aufbaut. Von daher wird, so der Eindruck des Gerichts, der Verkehr annehmen, dass die Beklagte extra einen Rechtsanwalt angestellt hat, der aufgrund seines Berufsethos als Organ der Rechtspflege - auch wenn er vorliegend nicht als solches tätig werden könnte - ein höheres Maß an Gewähr für eine engagierte Vertretung der berechtigten Interessen der Kunden bietet, als es ein in der Hierarchie der Versicherung großgewordener Angestellter der Beschwerdestelle könnte. So wäre der „Kundenanwalt" Ausdruck eines ernstgenommenen „Versichern heißt Verstehen". In diesem Verständnis wird der Verkehr noch durch die, wie das Gericht meint, hochtrabende Aussage „Unser Ziel: Gerechtigkeit" bestärkt, die den Eindruck erweckt, die Beklagte habe nun wirklich alles getan, um die Unabhängigkeit und Wirksamkeit der Vertretung der Interessen der Kunden ihr gegenüber zu gewährleisten.
Anmerkung:
Zu der Gefahr, dass Richter bei unbestimmten Rechtsbegriffen nach eigenem Gutdünken, wenn auch verantwortungsbewusst, entscheiden, siehe bitte in der Suchfunktion unter den Begriffen: „Verkehrsauffassung”, ”unbestimmte Rechtsbegriffe”, „normative Verkehrsauffassung”, „Dezisionismus”.
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