Der Fall
Ein Versicherungsunternehmen hatte wegen falscher Angaben der Versicherten im Antragsformular den Abschluss eines Berufsunfähigkeitsversicherung-Vertrages wegen arglistiger Täuschung angefochten und ist vom Vertrag zurückgetreten. Die Verbraucherin klagte auf Feststellung, dass das Versicherungsverhältnis unverändert fortbestehe. Die von der Vorlesegeschwindigkeit und Komplexität der Fragen selbst überforderten Richter des Oberlandesgerichts Stuttgart (Az 7 U 157/11) entschieden gegen den Versicherer.
Allgemeine Bedeutung?
Oft wird ein Vertrag oder eine einseitige Willenserklärung unterschrieben, ohne dass der Unterschreibende versteht, was er erklärt. Darf ein Anderer sich darauf berufen: Unterschrift sei Unterschrift. Im Testamentsrecht beispielsweise kommen solche Fälle vor. So etwa, wenn sich für ein Gericht Ungereimtheiten in dem von einem gesundheitlich Beeinträchtigten unterschriebenen notariellen Testament ergeben.
Das Urteil:
Wurden einem Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss komplexe Gesundheitsfragen so schnell vorgelesen, dass ihre richtige Erfassung nicht gewährleistet war, kann eine unvollständige Antwort nicht Grundlage einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder eines Rücktritts vom Versicherungsvertrag sein. Denn der Versicherer, der sowohl hinsichtlich der Täuschung als auch hinsichtlich eines arglistigen Handelns des Versicherungsnehmers beweisbelastet ist, hat den Nachweis zu führen, dass der Versicherungsvertreter dem Antragsteller die Fragen in einer Art und Weise vorgelesen hat, die das Ausfüllen des Formulars durch den Versicherungsvertreter einer eigenverantwortlichen Beantwortung durch den Antragsteller vergleichbar erscheinen lässt. Es ist im Ergebnis hier nicht festzustellen, dass die Klägerin den Erklärungsinhalt erfasst und im Antrag in zurechenbarer Weise falsche Angaben gemacht hat.
Anmerkung
Rückschlüsse auf andere Fallgruppen, siehe oben "Allgemeine Bedeutung"
Ein gegenwärtig umstrittener Fall: Ein Erblasser hatte im Februar gültig ein notarielles Testament verfasst. Im November erstellte der Erblasser ein gegenteiliges Testament, zu dem sich jedoch trotz notarieller Beurkundung eine ganze Reihe von Ungereimtheiten und offenen Fragen ergeben. In einem solchen Falle wird man sich unter Umständen dafür entscheiden müssen, dem ersten Testament den Vorrang einzuräumen.