Der Grundsatz
Beurlaubt sich ein Arbeitnehmer eigenmächtig selbst, verletzt er so schwer seine Pflichten, dass ihm in der Regel außerordentlich gekündigt werden darf.
Ein Ausnahmefall
Das Landesarbeitsgericht Berlin hat in seinem Urteil Az.: 10 Sa 1823/10 ausnahmsweise wegen besonderer Umstände angenommen, dass eine außerordentliche Kündigung unverhältnismäßig gewesen sei. Das Gericht ging von folgendem Sachverhalt aus:
Die Klägerin war seit mehr als 31 Jahren bei der Beklagten beanstandungsfrei beschäftigt. Sie war von September 2009 bis einschließlich Februar 2010 arbeitsunfähig krank geschrieben. „Die Klägerin hatte mit der Ankündigung eines Reha-Antrages am 5. Januar 2010 sowie der ärztlich bescheinigten Notwendigkeit einer weiteren Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes hinreichend deutlich gemacht, dass sie zum Zeitpunkt des eigenmächtigen Urlaubsantritts noch nicht wieder vollständig genesen war und sie jedenfalls subjektiv meinte, der Urlaubsreise 'in den Süden' zu bedürfen. Dieses lässt die Beharrlichkeit des eigenmächtigen Verhaltens in einem milderen Lichte erscheinen. ... Deshalb ging die Kammer davon aus, dass auch eine fristgemäße Kündigung geeignet ist, den mit der außerordentlichen Kündigung der Beklagten verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störung - zu erreichen.”
Anmerkungen:
1. Eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung war hier nicht möglich, da eine ordentliche Kündigung tarifvertraglich ausgeschlossen war.
2. Im Übrigen ist die Einschätzung: „in einem milderen Lichte erscheinen” dogmatisch in das Kriterium „Verhältnismäßigkeit” einzuordnen. Auf dieser Grundlage kann es - richtig geschickt angelegt - sogar gelingen, dass nicht einmal eine ordentliche Kündigung anerkannt wird.
Es bleibt dann die Abmahnung.
3. Das Gericht staffelt: a. arbeitsfähig, b. nocht nicht vollständig genesen, c. weitere Stabilisierung des Gesundheitszustandes, d. wieder vollständig genesen.
4. Wie soll unter diesen Umständen der rechtsstaatliche Grundsatz der „Rechtssicherheit” gewahrt werden? Dies gilt umso mehr, als aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gefolgert wird, dass die Kündigung ultima ratio sein muss. Dem Gericht wird damit erst recht viel Beurteilungsfreiheit eingeräumt.
5. Nicht genug: Abgeleitet wird bekanntlich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und anderen Grundsätzen das ultima ratio-Prinzip. Mit ihm lässt sich erst recht in alle Richtungen argumentieren.
6. Und nun sollen die Unternehmen Compliance-Grundsätze aufstellen und die Mitarbeiter im Rahmen des Risikomanagements anhalten, sich rechtmäßig zu verhalten!
7. Die Wissenschaft hilft der Praxis nicht. Sie findet keinen Weg zwischen dem falsifizierten Rechtspositivismus und dem ebenfalls falsifizierten Naturrecht hindurch und lässt den richterlichen Dezisionismus zu.
8. Zu den großen unlösbaren Problemen um den Dezisionismus siehe in der „Suche” beispielsweise unter dem Stichworten: „Dezisionismus” und „normative Verkehrsauffassung”.