Der Fall
Ein Anwalt wurde von der erstinstanzlich unterlegenen Partei gebeten, die Erfolgsaussichten einer Berufung zu prüfen. Er gelangte zu dem Ergebnis, dass eine Berufung wenig Aussicht auf Erfolg biete. Der Mandant führte die Berufung daraufhin mit einem anderen Anwalt durch – und obsiegte. Gegenüber dem ersten Anwalt weigerte er sich, dessen Honorarrechnung zu begleichen. Er argumentierte, der Anwalt habe seine Pflichten verletzt.
Die Entscheidung
Das Landgericht Aachen gab der Honorarklage in seinem Urteil Az.: 7 S 56/10 statt.
Es führte aus, dass die juristische Bewertung eines Lebenssachverhaltes sich zwar nach den Regeln der Logik vollziehe, anders als die Mathematik aber kein allein „richtiges“ oder „falsches“ Ergebnis kenne. Rechtsanwendung sei vielmehr mit „menschlichen“ und daher subjektiven Wertungen verbunden. Ein erstinstanzliches Urteil könne daher nicht „falsch“ sein, sondern unterliege lediglich einer anderen juristischen Bewertung durch das Rechtsmittelgericht. Ein Rechtstreit sei im besseren Falle auch stets ein Kampf um die besseren Argumente. Der Anwalt sei gar nicht in der Lage und deshalb nicht verpflichtet, das „richtige“ Ergebnis vorherzusagen.
Allzu leichtfertig – diesen Hinweis erlaubt sich das Gericht dann doch – dürfe der Mandant aber dennoch nicht rechtlich belehrt werden; insbesondere müsse er sich nicht mit dem häufigen Hinweis „abspeisen“ lassen: „Vor Gericht und auf hoher See befinden wir uns alle in Gottes Hand“.
Anmerkung
Ganz so, wie das LG Aachen argumentiert, verhält es sich nach der Rechtsdogmatik nicht - weder nach der Auslegungslehre noch nach der Rechtsphilosophie. Es gibt - jedenfalls überwiegend - durchaus dogmatisch nur ein richtiges Ergebnis. Siehe dazu vor allem die Arbeiten von Ronald Dworkin. Aber: Bitte geben Sie links in die Suche „Dezisionismus” ein. Wir beschreiben bei vielen Fällen das dogmatische Problem des richterlichen Dezisionismus. Unbestimmte Rechtsbegriffe und eine normative Auslegung erlauben dem Richter oder zwingen ihn geradezu, nach eigenem Gutdünken zu urteilen. Die Richter haben jedoch unterschiedliche Rechtsgefühle. So kommt es, dass eben auch unterschiedlich geurteilt wird. In diesen Fällen kann dem Anwalt in der Tat meist nicht vorgeworfen werden, er habe schuldhaft seine Pflichten verletzt. Anders verhält es sich, wenn der Anwalt Probleme nicht erkennt, höchstricherliche Entscheidungen übersieht oder sonst nicht lege artis arbeitet.