Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (siehe Pressemitteilung vom 08.07.2010) hat sich mit der Frage beschäftigt, wie sich das Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Fall "Emmely", siehe Pressemitteilung Nr. 42/10 des BAG vom 10. Juni 2010, 2 AZR 541/09 auf die Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung bei falscher Spesenabrechnung auswirken kann.

Der Fall
Eine Bahnbeschäftigte hatte ihr 40jähriges Dienstjubiläum gefeiert und im Anschluss daran dem Arbeitgeber eine von einer Catering-Firma erhaltene „Gefälligkeitsquittung“ über einen Betrag von 250,00 € für Bewirtungskosten vorgelegt. Für diesen Anlass existierte zwar von Seiten des Arbeitgebers ein Budget von bis zu 250,00 € Tatsächlich beliefen sich die Bewirtungskosten nur auf ca. 90,00 €.

Der Ausweg
Das LAG Berlin-Brandenburg hat einen „Vergleich“ vorgeschlagen, nach dem die Klägerin nach nunmehr einem Jahr seit der fristlosen Kündigung wieder eingestellt werden solle. Das LAG geht von einer auch den Spesenbetrug berührenden Rechtsprechungsänderung durch das BAG-Urteil „Emmely” aus. Das BAG hat die fristlose Kündigung einer Supermarktkassiererin ("Emmely") mit 31 Dienstjahren wegen Unterschlagung von zwei Leergutbons im Wert von 1,30 Euro bekanntlich aufgehoben. Das Vertrauen sei, so das BAG im Fall Emmely, alles gegeneinander abgewogen „nicht vollständig zerstört worden” und die Entlassung deshalb nicht gerechtfertigt gewesen. Es komme nach der BAG-Rechtsprechungsänderung der langjährigen und unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit eine sehr hohe Bedeutung zu.
Das LAG stellt zwar klar, dass die Bahnbedienstete - strafrechtlich relevant - grob pflichtwidrig gahandelt habe, so dass ein Kündigungsgrund „an sich“ vorliege. Jedoch komme, so das LAG einschränkend, eben der langjährigen und unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit in Anlehnung an „Emmely“ eine sehr hohe Bedeutung zu. Zu Lasten der Arbeitnehmerin falle aber wiederum andererseits ins Gewicht, dass es sich bei dem erschwindelten Betrag um keine "Geringfügigkeit" gehandelt habe. Ferner habe die Klägerin durch die Einreichung der gefälschten Quittung ganz bewusst und geplant betrügerisch gehandelt. Dies deute auf einen erheblichen Unrechtswillen hin.
Sollten die Parteien den Vergleichsvorschlag nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist von vier Wochen annehmen, wird das LAG entscheiden müssen.

Anmerkung:
Die Frage ist, ob der Vergleichsvorschlag die höchstrichterliche „Emmely“-Rechtsprechung unverhältnismäßig ausdehnt, indem es die lange Betriebszugehörigkeit über Gebühr betont. Fest steht jedenfalls immer noch: Trotz „Emmely“ kann nach der BAG-Rechtsprechung ein vorsätzlicher Verstoß eines Arbeitnehmers gegen Vertragspflichten unabhängig von der Schadenshöhe eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Insgesamt braucht man kein Hellseher zu sein, um feststellen zu müssen: Die Gerichte haben nun noch mehr freie Hand, nach der subjektiven Vorstellung des Gerichts zu erklären, bei einer Abwägung aller Umstände im zu entscheidenden Einzelfall sei das Vertrauensverhältnis zerstört oder eben noch „nicht vollständig zerstört worden”. Somit, eine zusätzliche neue Schleuse für den richterlichen Dezisionismus. Siehe zu dieser Problematik links in der Suchfunktion „Dezisionismus”.