Über das neue Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.11.2009 (Az.: VI ZR 226/08) zum Schutz der Meinungsfreiheit bei Verbreitung fremder Äußerungen in einem Interview wird sicher noch viel diskutiert werden. Dabei hat der BGH die von den Vorinstanzen zugunsten des Klägers entschiedene Frage der Verbreiterhaftung gar nicht vertieft behandelt. Stattdessen hat er die angegriffene Tatsachenbehauptung auf der Ebene des Textverständnisses „wegdefiniert“.
Zur Erinnerung die angegriffene Interviewäußerung im Gesamtzusammenhang: „Als Chefaufklärer in Sachen T. K. gerierte sich damals Helmut Markwort. Bei meinen Recherchen erwies sich der Bock allerdings als Gärtner. ... Das Focus-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der Bunten erschienen. (...)“ Hervorhebung durch uns.
Der betroffene Chefredakteur verwahrt sich gegen die Behauptung, er habe je für sich in Anspruch genommen, ein Interview mit Ernst Jünger geführt zu haben. Er muss nun verwundert feststellen: Das hat der Interviewte nach Ansicht des BGH bei der „gebotenen Textanalyse“ gar nicht gesagt! Vielmehr: „Er weist darauf hin, dass der Kläger zwar als ‚Chefaufklärer‘ gegen den Journalisten T. K. aufgetreten sei, Beiträge in dem in der Verantwortung des Klägers liegenden Magazin ‚Focus‘ aber ebenfalls Unwahrheiten enthalten hätten und nennt drei Beispiele dafür. (...) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist die Äußerung von Roger Willemsen, ‚Das Focus-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, …‘, nicht dahin zu verstehen, dass behauptet wird, der Kläger habe vorgegeben, selbst Ernst Jünger interviewt zu haben. Dadurch dass der Name des Klägers in diesem Zusammenhang fällt, soll vielmehr die Wirkung des übrigen Textes verstärkt werden, indem ‚Markwort‘ als Synonym für das Magazin ‚Focus‘ verwendet wird. (...) Mithin zielt die Äußerung nicht auf die journalistische Einzelleistung, also wer konkret das Jünger-Interview geführt hat, sondern auf die journalistische Gesamtverantwortung, die der Kläger als Chefredakteur für die jeweilige Ausgabe des ‚Focus‘ innehatte.“ Hervorhebungen durch uns.

Wir meinen:
Zweifellos hat der Interviewte den Chefredakteur auch aufgrund seiner Gesamtverantwortung für Focus kritisiert, etwa bezüglich einer Äußerung zur Ärzteliste. Es gibt auch ein berechtigtes Interesse an Personalisierung. Hinsichtlich des Satzes über das Jünger-Interview macht das Urteil dennoch ratlos. Kommt es nicht mehr auf das Verständnis der Leser an, sondern auf die Motive dessen, der sich äußert? Woher will das Gericht wissen, was der (nicht am Verfahren beteiligte) Roger Willemsen erreichen wollte und worauf er „zielte“? Kann der Betroffene nicht in jedem Fall verlangen, dass dieses Ziel verfolgt wird, ohne bei dieser Gelegenheit unstreitig falsche Aussagen in die Welt zu setzen? Wir sind überzeugt, mehr als 90% der Leser des ursprünglichen Interviews können die Interpretation des BGH nicht nachvollziehen. Auf diesen Gedanken ist auch im gesamten Verfahren niemand gekommen.