Der Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs hat vorgestern beschlossen, dass das verkrustete Auswahlsystem bestehen bleiben soll. Vor dem Bundesgerichtshof darf als Rechtsanwalt nach wie vor nur auftreten, wer die folgenden althergebrachten Bewerbungsstationen durchlaufen hat:
1. Der RA muss als erstes von der örtlichen Rechtsanwaltskammer benannt werden. Um es dahin zu bringen, muss sich der Anwalt erfahrungsgemäß schon gut in das System eingefügt haben.
2. Aus den von den örtlichen Rechtsanwaltskammern benannten Kandidaten wählen die Bundesrechtsanwaltskammer und die Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof einige aus. Jemand, der nicht ins System passt, oder gar ein „junger Wilder” wird jedenfalls spätestens in dieser Stufe ausscheiden. Wer denkt, wenigstens hier sei dann genug konventionell „ausgesiebt” worden, täuscht sich.
3. Nun ist der Wahlausschuss für Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof an der Reihe. Das System kann also weiter aussondern.
4. Anschließend entscheidet und ernennt das Bundesjustizministerium der Justiz die neuen BGH-Anwälte. Das Bundesjustizministerium kann zusätzlich darauf achten, dass für „Kontinuität” gesorgt ist. Dem Bundesjustizministerium werden nämlich vom Wahlausschuss für Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof doppelt so viele Bewerber vorgeschlagen wie Anwälte zu ernennen sind.
Womit wird dieses System offiziell gerechtfertigt? Es soll sichergestellt werden, dass die Fragen, die der Bundesgerichtshof wegen ihrer grundsätlichen Bedeutung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts zu entscheiden hat, durch einen besonders qualifizierten Rechtsanwalt aufbereitet werden.
Finden ließen sich mindestens 1.000 entsprechend qualifizierte Anwälte; - oft mit größeren Spezialerfahrungen, Anwälte mit neuen Ideen und interdisziplinären Kenntnissen für eine neue Zeit. Eine Gegenprobe: Wo finden sich die BGH-Anwälte in den Rankings der am meisten empfohlenen Rechtsanwälte? Der Verfasser dieser Zeilen ist nicht fündig geworden.
Die Gruppe der hoch qualifizierten Anwälte wäre auch durchaus ohne Weiteres in der Lage, das spezielle Revisionsverfahrensrecht zu beherrschen.
Wie soll sich unter all diesen Umständen der geschlossene Zirkel mit dem heutigen konventionellen Auswahlsystem und der Beschränkung der Berufsfreiheit der Rechtsanwälte noch rechtfertigen lassen?
Der Beschluss - AnwZ 2/06 - wurde noch nicht im Volltext bekannt gegeben. Nur eine Mitteilung der Pressestelle Nr. 171/2006 liegt vor.