Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit dem Az.: 2 BvR 401/05 erinnert an ein Problem, das oft zu groben Ungerechtigkeiten führt. Der Beschluss 2 BvR 401/05 erklärt wörtlich:
„Der Bürger hat aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle von Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet zumal auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit.
Unmittelbar ergangen ist dieser Beschluss zur Beschleunigung von Ermittlungsverfahren, in denen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet worden ist.
Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müsste die Praxis in großen und wichtigen Gebieten ändern; - so zum Beispiel die Praxis bei der Kontrolle von Bebauungsplänen und der Aussetzung der Vollziehung von Baugenehmigungen.
Bislang kann ein Bauwilliger, wenn Gemeinde und Landratsamt „mitziehen”, eingesessene Nachbarn „austricksen”. Ein aktuelles Beispiel aus einem Vorort von München:
Der Freistaat Bayern war froh, dass er ein großes Grundstück veräußern konnte. Er und die Gemeinde haben speziell für den Käufer den Flächennutzungsplan und den Bebaungsplan geändert. Die Nachbarn machen geltend, dieser in Fachkreisen so genannte Briefmarken-Bebauungsplan sei nichtig, weil er eine überdimensionierte Halle zulasse und damit die Gebietsart ändere. Die Bauanträge wurden in unüblicher Geschwindigkeit genehmigt und der Käufer, der dem Freistaat das Grundstück abnahm, hat in einer Überraschungsaktion mit dem Bau begonnen.
Im Normenkontrollverfahren macht der Verwaltungsgerichtshof geltend, eine einstweilige Anordnung könne er nicht erlassen, weil der Bau bereits genehmigt wurde.
Für parallel laufende Verfahren gegen die Baugenehmigung besteht die Praxis, dass von der Rechtswirksamkeit des Bebauungsplans ausgegangen wird. Erst wenn entweder der Verwaltungsgerichtshof oder das Bundesverwaltungsgericht als Normenkontrollgerichte den Bebauungsplan in einem Hauptsacheverfahren für nichtig erklärt, wird die Nichtigkeit auch im Baugenehmigungsverfahren zur Kenntnis genommen.
Zu spät. Das Gebäude soll im Frühjahr fertiggestellt sein.
Das Gebäude darf dann - bleibt es bei der gewohnten Praxis - stehen bleiben, auch wenn die Nichtigkeit des Bebauungsplans rechtskräftig festgestellt und der Anspruch der Nachbarn auf Wahrung der Gebietsart verletzt worden ist.
Ein sogenannter Folgenbeseitigungsanspruch wird nämlich meistens nicht in der Weise zugestanden, dass das rechtswidrig erstellte Gebäude - was folgerichtig wäre - abgerissen werden muss. Die Begründung:
Der Bauherr setzte sich zwar über die Proteste, Widersprüche und Klagen hinweg. Es wäre jedoch unwirtschaftlich, wenn das Gebäude abgerissen werden würde.
Das Ergebnis ist dann eben:
Den eingesessenen Gemeindebürgern wird, wenn der Bebauungsplan nichtig ist, der Rechtsschutz verweigert.
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bekräftigt die Meinung, dass die Praxis die Rechtsuchenden wirkungsvoller schützen muss. In seinem neuesten Urteil zu diesem Themenkreis - 4143/02 (Moreno Gómez/Spanien) - hebt der EGMR hervor:
Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Konvention wirksame Rechte garantieren will und nicht scheinbare und theoretische”.