Landgericht Berlin Urteil vom 19.9.2023 - Az. 102 0 15/23. Gewonnen hat die Deutsche Umwelthilfe als Klägerin.
Leitsatz (nicht amtlich)
Der Lieferdienst HelloFresh darf nicht mehr damit werben, "Das erste globale klimaneutrale Kochbox-Unternehmen" zu sein, und behaupten "Wir kompensieren 100% unserer direkten CO2-Emissionen". Diese Werbung führt irre.
Aus dem Urteil
Das Unternehmen hat Verbraucher darüber getäuscht, dass "Klimaneutralität" im Sinn von CO2-Neutralität mithilfe des Kaufs von CO2-Zertifikaten aus einem Waldschutzprojekt in Kenia erreicht werden kann. Verbraucher wissen, dass sich CO2-Neutralität sowohl durch die Vermeidung als auch durch die Kompensation von Emissionen über Klimaschutzprojekte erreichen lässt. Dabei sind sie sich zwar der Gefahr des "Greenwashings" bei Emissionskompensationen bewusst, erwarteten aber, dass sich Projekte, die ein Unternehmen unterstützt und konkret Projekte vorstellt, tatsächlich positiv auf die Klimabilanz auswirken.
Genau das ist hier aber nicht gesichert. Die Kompensation von CO2-Emissionen über am freiwilligen Kohlenstoffmarkt erworbene CO2-Zertifikate aus dem Waldschutz berechtigt nicht allein deshalb dazu, das Produkt oder das Unternehmen als klimaneutral zu bewerben, weil Waldschutz ein wichtiger Klimaschutzfaktor ist. Solange es keine allgemein anerkannten Standards gibt, müssen Zweifel an einer tatsächlichen Kompensation zu Lasten des Werbenden gehen. Daher hat sich HelloFesh auch nicht darauf verlassen dürfen, dass die Zertifikate den vom Herausgeber behaupteten Erfolg haben.
Strenge Informationspflichten
Darüber hinaus hat HelloFresh den Verbrauchern „wesentliche Informationen" im Sinn von § 5a UWG vorenthalten. Da den Verbrauchern mit dem Begriff der Klimaneutralität das Gefühl vermittelt wird, „etwas Gutes für die Umwelt zu tun", wenn sie den Lieferdienst nutzen, müssen sie näher über die Hintergründe der behaupteten Klimaneutralität aufgeklärt werden. Es besteht eine umso höhere Aufklärungspflicht, als es sich um einen "Claim aus einem komplexen Wirkungsgefüge" handelt und Verbraucher aufgrund eines gestiegenen Bewusstseins für den Klimawandel ein stärkeres Interesse an den Einzelheiten haben.
Verbraucher müssen insbesondere darüber aufgeklärt werden, ob und in welchem Umfang die behauptete Klimaneutralität durch Vermeiden oder Kompensieren erreicht wird. Denn sie gehen nicht davon aus, dass ein mit Klimaneutralität werbendes Unternehmen nur auf den Erwerb von CO2-Zertifikaten setzt, der bei Verbrauchern im Verdacht des "Greenwashing" steht.
Auch müssten Verbraucher informiert werden, ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen wurden. Ferner hätte HelloFresh unter anderem den – privatwirtschaftlichen – "Verified Carbon Standard" zur Zertifizierung von Klimaschutzprojekten näher erläutern müssen, da die Bezeichnung Verbraucher "beeindrucken" und annehmen lassen könnte, die behauptete Klimaneutralität beruhe auf allgemein anerkannten objektiven Grundlagen.
Das Gericht hat in seiner Entscheidung angemerkt, dass es grundsätzlich problematisch sei, Klimaneutralität mit CO2-Neutralität gleichzustellen. Dies sei im vorliegenden Verfahren aber kein Thema gewesen, da HelloFresh nur mit einem CO2-Ausgleich geworben habe. Inzwischen gibt es immer mehr wettbewerbsrechtliche Entscheidungen zu dem Thema "Klimaneutralität", im Juli etwa entschieden das OLG Düsseldorf im Fall Katjes und das LG Karlsruhe im Fall der Drogeriemarktkette dm.
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