LG Frankfurt a.M. Urteil vom 22.6.2023, Az. 2-13 S 72/22. Anm., um Missverständnissen vorzubeugen: Dieses Urteil betrifft einerseits selbstverständlich nicht den Fall, dass zugunsten eines Verkaufspreises Instandhaltungsarbeiten erforderlich sind.

Andererseits wird das Urteil, wenn man es ganz durchliest manchen anregen. So etwa, wenn es in einem Falle unbillig erscheint, die Kosten für einen neuen Aufzug Wohnungseigentümern im Erdgeschoß den allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel aufzubürden, - entgegen vielen Musterverträgen. Oder man wird beispielsweise darüber nachdenken, dass einem Eigentümer ein wirklicher Sichtschutz zugestanden werden muss, so dass nicht jedermann ein Appartement durch eine Hecke einsehen kann.   

Aus dem Urteil:

Ein Anspruch der Klägerinnen [auf Änderung der Teilungserklrärung] ergibt sich nicht aus § 10 Abs. 2 WEG. Nach dieser Norm kann jeder Wohnungseigentümer die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Mit der Kodifizierung des § 10 Abs. 2 S. 3 WEG a.F. (jetzt § 10 Abs. 2 WEG) zum 01.07.2007 sind die Hürden an die Anpassung der Gemeinschaftsordnung bewusst abgesenkt worden, indem nunmehr „schwerwiegende Gründe“ und nicht mehr – wie es früher in der Rechtsprechung vertreten wurde – „außergewöhnliche Umstände“ vorausgesetzt werden (vgl. BT-Drs. 16/887, S. 18 f; BGH, Urt. v. 22.03.2019 – V ZR 298/16, NJW 2019, 3716, 3717, Rn. 14).


Schwerwiegende Gründe in diesem Sinn können etwa vorliegen, wenn die durch die Gemeinschaftsordnung vorgegebene Zweckbestimmung eine Nutzung einer Sondereigentumseinheit ausschließt, die nach der baulichen Ausstattung der betroffenen Räume möglich ist, und wenn ferner objektive Umstände dafür sprechen, dass dem betroffenen Wohnungseigentümer diese Nutzung eröffnet werden sollte (vgl. BGH, Urt. v. 22.03.2019 – V ZR 298/16, NJW 2019, 3716, 3717, Rn. 15). Das kommt etwa in Betracht, wenn die in der Teilungserklärung als Abstell-, Wasch- und Trockenräume bezeichneten Räume eigentlich als Wohnungen genutzt werden können sollten (vgl. BGH, Urt. v. 22.03.2019 – V ZR 298/16, NJW 2019, 3716, 3717 f., Rn. 21 ff.) oder wenn eine dauerhafte gewerbliche Vermietung einer Teileigentumseinheit angesichts von Lage und Ausstattung des Gebäudes nicht ernsthaft zu erwarten ist; in diesem Fall verhindert das Festhalten an der vereinbarten Nutzung jegliche wirtschaftliche Verwertung der Einheit (vgl. BGH, Urt. v. 23.03.2018 – V ZR 307/16, NJW-RR 2018, 1227, 1228, Rn. 12).

Nach diesen Grundsätzen liegt hier kein schwerwiegender Grund darin, dass die Klägerinnen im Fall der Veräußerung als Wohnungseinheiten einen um Euro 160.000,00 höheren Kaufpreis erzielen könnten als im Fall der Veräußerung als Teileigentumseinheiten. Auch wenn die Anforderungen mit der Einführung der Regelung des § 10 Abs. 2 S. 3 WEG gesenkt wurden, muss die Zuerkennung eines Abänderungsanspruchs auf echte Ausnahmefälle beschränkt werden, da mit der Regelung in die Vertragsfreiheit der Eigentümer eingegriffen wird (vgl. BeckOK WEG/Müller, 52. Ed. 3.4.2023, WEG § 10 Rn. 196). Die zu berücksichtigenden Gründe können zwar auch wirtschaftlicher Natur sein. .... Allein die voraussichtliche Erzielung eines um ca. 14,6 % höheren Verkaufserlöses im Fall der Änderung genügt hierfür nicht. Jedenfalls Mindererlöse von bis zu 25 % sind insofern keinesfalls ausreichend. Dafür spricht, dass auch eine Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels bei den verbrauchsunabhängigen Kosten grundsätzlich erst bei einer Kostenmehrbelastung von mindestens 25 % verlangt werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 11.06.2010 – V ZR 174/09, NJW 2010, 3296, 3297).

Andere schwerwiegende Gründe sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. 

Im Übrigen spricht zwar viel dafür, dass die begehrte Änderung unter Berücksichtigung der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer nicht unbillig wäre. ...

Die Klägerinnen haben auch keinen Anspruch aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Dies würde voraussetzen, dass die Voraussetzungen des von der Rechtsprechung vor der Neuregelung in § 10 Abs. 2 S. 3 WEG a.F. entwickelten Anpassungsanspruchs bei grober Unbilligkeit aus § 242 BGB vorliegen. Erforderlich wären danach außergewöhnliche Umstände, die die Verweigerung der Zustimmung als grob unbillig und damit als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben erscheinen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 12.04.2013 – V ZR 103/12, NJW 2013, 1962, 1963, Rn. 12). Außergewöhnliche Umstände für das Begehren der Klägerinnen liegen hier aber nicht vor. Da die wirtschaftlichen Interessen der Klägerinnen, wie ausgeführt, keine schwerwiegenden Gründe darstellen, kann es sich auch nicht um außergewöhnliche Umstände im Sinne der Rechtsprechung handeln.


Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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