Bundesgerichtshof Beschluss vom 22.11.2022, bekannt gegeben heute 23.12.2022
In sich verständlicher Leitsatz
Ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten auf der ersten Stufe der Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze (hier: fehlerhafte Streichung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender) steht einer Wiedereinsetzung ausnahmsweise dann nicht entgegen, wenn im Rahmen der Büroorganisation durch eine allgemeine Arbeitsanweisung Vorsorge dafür getroffen wurde, dass auf der zweiten Stufe der Ausgangskontrolle bei normalem Verlauf der Dinge die Frist mit Sicherheit gewahrt worden wäre. Versagt diese Kontrolle, ist ein Rückgriff auf ein Anwaltsverschulden auf der ersten Stufe der Ausgangskontrolle ausgeschlossen.
Zum besseren Verständnis zitieren wir noch die insofern wichtigste Stelle des Beschlusses. Hervorhebungen von uns.
Nach dem an Eides statt versicherten Vortrag des Klägers genügt die Büroorganisation seiner Prozessbevollmächtigten diesen - die zweite Stufe der Fristenkontrolle betreffenden - Anforderungen. Wären diese hier von Frau H. eingehalten worden, wäre ihr die fehlerhafte Streichung der Berufungsbegründungsfrist bei normalem Verlauf der Dinge aufgefallen und dieser Bearbeitungsfehler behoben worden, mithin die Berufungsbegründungsfrist mit Sicherheit gewahrt worden. Wegen der überholenden Kausalität bei der Fristenkontrolle auf der zweiten Stufe, die gerade auch individuelle Bearbeitungsfehler auf der ersten Stufe beheben soll, entfällt ein etwaiges Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Rahmen der Fristenkontrolle auf der der ersten Stufe. Die fehlerhafte, weil entgegen der allgemeinen Büroanweisung erfolgte Bearbeitung der Fristenkontrolle auf der zweiten Stufe durch Frau H. ist dem Kläger nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Angestellte, die sich - wie hier - bisher als zuverlässig erwiesen hat, derartige Weisungen befolgt. Anders ist es,
wenn Umstände vorliegen, die dem Rechtsanwalt Anlass geben, an der Umsetzung seiner Arbeitsanweisung durch die Büroangestellte zu zweifeln (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2020 - V ZB 138/19, NJW 2020, 3041 Rn. 13 mwN).
Solche Umstände sind hier aber nicht ersichtlich.
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