Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. Oktober 2022, Az. XII 113/21, vom BGH herausgegeben heute am 5. 12. 2022.
Leitsatz:
Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 31. Juli 2019 - XII ZB 36/19 - FamRZ 2019, 1800).
Zu Einzelheiten:
Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten.
Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die
Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (Senatsbeschlüsse vom 9. Juli 2014 - XII ZB 709/13 - FamRZ 2014, 1624 Rn. 12 und vom 19. Februar 2020 - XII ZB 458/19 - FamRZ 2020, 936 Rn. 12 mwN).
Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde muss der Rechtsanwalt in diesem Fall auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen (Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - XII ZB 458/19 - FamRZ 2020, 936 Rn. 13 mwN; vgl. auch BGH Beschluss vom 23. Juni 2020 - VI ZB 63/19 - NJW 2020, 2641 Rn. 10 mwN).
Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm dies schon ab der Zustellung des Beschlusses möglich und zumutbar, weil die zweimonatige Begründungsfrist mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses beginnt. So
ist ihm die Fristenüberprüfung insbesondere bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich. Dabei darf der Anwalt sich allerdings grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken, sofern sich keine Zweifel an deren Richtigkeit aufdrängen (Senatsbeschluss vom 19. Februar 2020 - XII ZB 458/19 - FamRZ 2020, 936 Rn. 13 mwN). Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat (BGH Beschluss vom 23. Juni 2020 - VI ZB 63/19 - NJW 2020, 2641 Rn. 10 mwN).
Die Einhaltung einer Rechtsmittelbegründungsfrist ist nicht nur durch die Eintragung der Hauptfrist, sondern zusätzlich durch eine ausreichende Vorfrist sicherzustellen (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06 -)
Anmerkung
Offenbar ist es sinnvoll, zur Kanzleiorganisation allgemein und zu Wiedereinsetzungs-Anträgen im Besonderen hervorzuheben, dass die RA-Pflichten minutiös nachgelesen und natürlich höchst getreu eingehalten werden sollten. Wir haben deshalb in aller Regel die BGH-Entscheidungen aufgegriffen. Über die Jahre hat sich so mit BGH-Urteilen ein Handbuch zur Kanzleiorganisation ergeben, vgl. bitte mit der Suchfunktion die Schlagwörter „Kanzleiorganisation” und „Wiedereinsetzung”.
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