Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 22.09.2022, Az. - 1 ME 90/22 -

Leitsatz
Ein sozial­therapeutisches Zentrum zur Unterbringung von Menschen mit Behinderungen ist in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. 

Sachverhalt

Eine Anwohnerin befürchtet insbesondere unzumutbare Belästigungen durch psychisch kranke Bewohner.

Im Mai 2019 wurde für ein sozialtherapeutisches Zentrum eine Baugenehmigung erteilt. In dem Zentrum sollten Menschen mit Behinderungen aufgenommen werden. Dies umfasste auch Menschen, die aufgrund eines betreuungsrechtlichen Beschlusses wegen einer Selbstgefährdung im Zentrum eingewiesen werden sollten. Das Zentrum lag in eine allgemeinen Wohngebiet und sollte 41 Wohnplätze haben, von denen 17 dem beschützten Bereich zugeordnet waren. Eine Nachbarin hielt die Baugenehmigung für das sozialtherapeutische Zentrum für unzulässig und beantragte daher Eilrechtsschutz. Das Verwaltungsgericht Hannover wies den Antrag zurück. Dagegen richtete sich die Beschwerde der Nachbarin.

Rechtliche Beurteilung

Die Baugenehmigung für das sozialtherapeutische Zentrum ist rechtmäßig. Das sozaltherapetische Zentrum ist als Anlage für soziale Zwecke im allgemeinen Wohngebiet als Regelnutzung gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 3 BauNVO zulässig. Das Vorhaben dient der sozialen Fürsorge für Menschen mit besonderem Unterstützungs- und Betreuungsbedarf. Im Vordergrund stehe das Wohl der Bewohner und ihre individuellen Bedürfnisse.

Frage der Freiwilligkeit der Unterbringung unerheblich
Dass sich bestimmte Bewohner unfreiwillig in der Einrichtung befinden werden, sei nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts unerheblich. Es seien auch Einrichtungen in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig, die einen unfreiwilligen Aufenthalt vorsehen oder ermöglichen.

Das Urteil schließt ab:

Soweit die Antragstellerin dagegen vorbringt, es sei nicht entscheidend, ob von den Bewohnern eine echte Fremdgefährdung ausgehe; es reiche aus, „dass diese sich mangels hinreichender Aufenthaltsräume gemäß der Betriebsgenehmigung vor dem Haus und in der Nähe des benachbarten Hauses der Antragstellerin aufhalten könnten“, die Präsenz von überwiegend suchtkranken oder drogenabhängigen Männern löse bei älteren Anwohnern wie der Antragstellerin Angstgefühle aus und führe zu Belastungssituationen durch Polizeieinsätze, beruht dies offenbar auf der Annahme, schon der bloße Aufenthalt von Menschen mit seelischen oder geistigen Behinderungen in Sichtweite ihres Grundstücks sei rücksichtslos. Dem öffentlichen Baurecht, das gemäß Art. 1 GG dem Gedanken der Menschenwürde, und zwar aller Menschen gleichermaßen, verpflichtet ist, entspricht diese Annahme nicht.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
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