BGH Beschluss vom 20.9.2022, herausgegeben heute, 13.10.2022, Az. VI ZB 17/22.

Leitsatz

Ein Rechtsanwalt hat durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden. Hierzu gehört die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren.

Allgemein und zur Vorfrist führt der Beschluss aus:

Ein Rechtsanwalt darf zwar die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen. Er hat aber durch geeignete organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass Fristversäumnisse möglichst vermieden werden.
Hierzu gehört nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung die allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies regelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des Fristablaufs noch eine grundsätzlich etwa einwöchige Vorfrist zu notieren. Die Vorfrist dient dazu sicherzustellen, dass auch für den Fall von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprüfungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt. Die Eintragung einer Vorfrist bietet eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn die Eintragung einer Rechtsmittelbegründungsfrist versehentlich unterblieben ist (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XI ZB 17/19, juris Rn. 9 mwN).
Diese Vorgaben hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der Organisation ihrer Kanzlei nicht eingehalten. Eine Vorfrist war nicht notiert. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass dies versehentlich - entgegen einer anderslautenden Anordnung - unterblieben sei.
Der Organisationsmangel der Prozessbevollmächtigten des Klägers war für die Fristversäumnis auch ursächlich.
Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden, wenn die Ursächlichkeit des Organisationsmangels für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt ist.

Anmerkung

Der Beschluss ist auch insofern ein Musterbeispiel, als er einen Fehler herausstellt, auf den wir zu Wiedereinsetzungesanträgen in Bezug auf die Kanzleiorganisation immer wieder an dieser Stelle hingewiesen haben. Beim Wiedereinsetzungsantrag ist minutiös darauf zu achten, dass bis auf jede relevante Kleinigkeit vollständig vorgetragen wird. Unter dem Suchwort „Kanzleiorganisation” haben wir seit Jahren möglichst die gesamte erhebliche BGH-Rechtsprechung zu Wiedereinsetzungsanträgen wiedergegeben.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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