Bundesgerichtshof Urteil vom 3. Februar 2022, bekannt gegeben heute am 11. März 2022, Az. III ZR 84/21. 

Leitsatz

Die unrichtige Darstellung eines wertbildenden Umstands in einem Prospekt wird vom Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs nur erfasst, wenn sie geeignet ist, einen verständigen, durchschnittlich vorsichtigen Kapitalanleger bei seiner  Anlageentscheidung zu beeinflussen (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - 5 StR 283/04).

Die relevante Gesetzespassage, § 264a StGB

(1) Wer im Zusammenhang mit

1. dem Vertrieb von Wertpapieren, Bezugsrechten oder von Anteilen, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, oder
2. dem Angebot, die Einlage auf solche Anteile zu erhöhen,
in Prospekten oder in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand hinsichtlich der für die Entscheidung über den Erwerb oder die Erhöhung erheblichen Umstände gegenüber einem größeren Kreis von Personen unrichtige vorteilhafte Angaben macht oder nachteilige Tatsachen verschweigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Aus der Urteilsbegründung

aa) Das Tatbestandsmerkmal des "erheblichen Umstands" im Sinne von§ 264a StGB erfüllen nur solche Gesichtspunkte, die nach der Art des Geschäfts für einen durchschnittlichen Anleger von Bedeutung sein können. Die Offenbarungspflicht ist auf die wertbildenden Umstände zu beschränken, die nach den Erwartungen des Kapitalmarkts für die Anleger bei ihrer Investitionsentscheidung von Bedeutung sind. Dabei ist eine verobjektivierte Betrachtungsweise geboten. Maßgeblich ist der verständige, durchschnittlich vorsichtige Kapitalanleger, in dessen Rolle sich der Herausgeber des Prospekts zu versetzen hat (BGH, Urteil vom 12. Mai 2005 - 5 StR 283/04, ZIP 2005, 1066, 1067 f mwN). Davon geht im Ansatz auch das Berufungsgericht aus. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, das als erheblichen Prospektfehler schon allein den Umstand angesehen hat, dass die beim Vertrieb im Falle von Stornierungen verbleibenden Provisionen höher sind als prospektiert und damit die Einnahmen des Fonds in der Modellrechnung falsch dargestellt werden, liegt ein erheblicher Prospektfehler im Sinne von § 264a StGB nicht bereits vor, wenn „in Punkten, die die Werthaltigkeit des Fonds" betreffen, konkrete Angaben gemacht werden, die nicht richtig sind. Ein solcher Maßstab erweitert den objektiven Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs zu sehr. Er würde dazu führen, dass selbst geringfügigste Ungenauigkeiten einen erheblichen Prospektfehler darstellen könnten. Lassen sich aus einer Angabe - wenn auch nur mittelbar - Rückschlüsse auf die Werthaltigkeit der Anlage ziehen, handelt es sich zwar um die Darstellung eines wertbildenden Umstands. Ist die Angabe unrichtig, erfüllt sie den Tatbestand des Kapitalanlagebetrugs jedoch nur, wenn sie nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze für die Anlageentscheidung von Bedeutung ist (vgl. Senat, Urteil vom 11. April 2013 - III ZR 80/12, juris Rn. 34 ff; BGH, Urteil vom 22. Dezember 2015 - VI ZR 113/14, juris Rn. 30 aE), mithin geeignet ist, einen Kapitalanleger der vorbezeichneten Natur bei seiner Anlageentscheidung zu beeinflussen.
Dies entspricht dem Sinn und Zweck von § 264a StGB. Der in den Bereich der Gefährdung vorverlegte Strafschutz soll - neben dem Vertrauen der Allgemeinheit in das Funktionieren des Kapitalmarktes - gezielt das individuelle Vermögen potentieller Kapitalanleger vor möglichen Schädigungen bewahren (vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Oktober 1991 - II ZR 204/90, BGHZ 116, 7, 12 ff; Entwurf der Bundesregierung eines Zweiten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, BT-Drs. 10/318, S. 22). Eines solchen Schutzes bedarf es, soweit unrichtige Angaben dazu geeignet sind, andere zur Anlage ihres Geldes zu veranlassen (vgl. BT-Drs. aaO).

Anmerkung

Wie kann, wie es das Urteil im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Gesetzes verlangt, „der Herausgeber des Prospekts in die Rolle des verständigen, durchschnittlich vorsichtigen Kapitalanlegers versetzen”? Der Kommentar SSW-StGB/Bosch § 264a gibt in Rn 17 den gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Schrifttum wieder und führt mit Recht aus, dass „das Merkmal der Erheblichkeit dem Gesetzgeber erlaubt, auf eine außerstrafrechtlich geformte Verkehrsauffassung zu verweisen, die er  ...trotz vielfältiger Normvorgaben selbst nicht definieren könnte”. Unsere Kanzlei hat sich vielfach mit der Problematik befasst und Lösungsvorschläge unterbreitet. Vgl., im Kern erstmalig in Rechtsprechung und Literatur: https://www.schweizer.eu/kanzlei/publikationen Die Texte können unter diesem Link im Volltext nachgelesen werden. In der Schrift: Schweizer, Die Entdeckung der pluralistischen Wirklichkeit wird umfassend zum Begriff „Durchschnitt” Stellung genommen und dargelegt, dass der Einzelne allein nicht in der Lage ist, zu wissen, wie der Verkehr auffasst. Mehrere Doktorarbeiten haben im Anschluss an Vorlesungen und Seminare die Problematik wiedergegeben und Lösungen - auch zu einzelnen Begriffen - dargelegt. 

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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