OLG Frankfurt a.M. Urteil vom 10.2.2022,  Az. 16 U 87/21. Den Juristen überrascht die Freiheit der Meinungsäußerung in Deutschland nicht, einen erheblichen Teil der Bevölkerung unseres Erachtens in diesem Ausmaß jedoch durchaus.

Der Fall ist nach einer Pressemittelung des OLG Frankfurt a.M. von gestern, 10.2.2022, so zu verstehen:


Die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung erfolgt unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes einer Äußerung. Die Deutung der Aussage einer die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen hinterfragenden Person stellt hier eine Meinungsäußerung dar. Als Bestandteil des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage ist diese Meinungsäußerung nicht rechtwidrig. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit einem am 10.2.2020 verkündetem Urteil bestätigt, dass der Klägerin kein Unterlassungsanspruch zusteht.


Die Klägerin engagiert sich in einer Initiative, die die Verhältnismäßigkeit der staatlich angeordneten Corona-Maßnahmen hinterfragt und in einer mittelhessischen Stadt seit Sommer 2021 angemeldete öffentliche Versammlungen durchführt. Im Zusammenhang mit zuvor durchgeführten nicht angemeldeten Zusammenkünften war auch die Klägerin beim Ordnungsamt angezeigt worden. Altstadtbewohner hatten den Bürgermeister auf diese Zusammenkünfte aufmerksam gemacht. [Die Klägerin hat sich über diese, wie sie dichtet, Denunzianten empört.]

Die Klägerin veröffentlichte daraufhin im Internet ein Gedicht unter dem Titel „Denunzianten“, in dem es u.a. heißt, dass „manch einer“, der „genüsslich denunzierte“ sich vor einem „Drei-Mann-Standgericht“ wiederfand, dessen Urteil „Tod durch Erschießen“ lautete.

Die Beklagte engagiert sich in einer Gegeninitiative und veröffentlichte über Facebook ihrerseits einen Text. Die Klägerin wurde dort aufgefordert zu erklären, was sie mit ihrem „unfassbaren Statement“ genau meinte. Weiter heißt es: „Darin fordert (die Klägerin) sinngemäß für in ihren Augen Denunzianten ein knappes 3-Mann-Standgericht mit dem einzig richtigen Urteil „Tod durch Erschießen“. Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Eilverfahren, dass sie es unterlässt, zu behaupten, sie fordere in Bezug auf die Anzeigen von Bürgern hinsichtlich der nicht angemeldeten Zusammenkünfte die genannte Vorgehensweise.

Das Landgericht hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg.

Der Klägerin stehe kein Unterlassungsanspruch zu, stellt das OLG fest. Bei der angegriffenen Äußerung handele es sich nicht um eine Tatsachenbehauptung. Aus dem Gesamtkontext ergebe sich vielmehr, dass eine Meinungsäußerung vorliege. Maßstab sei dabei das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Demnach habe die Beklagte ihr Verständnis von dem Text der Klägerin wiedergegeben. Der Leser verstehe, dass die angegriffene Äußerung „die Deutung“ der Beklagten sei. Dafür spreche schon der Zusatz „sinngemäß“. Der Klägerin werde dagegen nicht eine Äußerung „in den Mund gelegt“, die sie so nicht getan habe. Die angegriffene Äußerung enthalte kein objektiv falsches Zitat, sondern die Interpretation eines Dritten, hier der Beklagten.

Rechtliche Würdigung durh das OLG

Meinungsäußerungen unterlägen grundsätzlich grundrechtlichem Schutz. Bei Abwägung der berührten Rechtspositionen stelle sich der mit der Äußerung verbundene Eingriff in die Ehre und das Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht als rechtwidrig dar. Die angegriffene Äußerung gehe auf objektive Anhaltspunkte in Form des veröffentlichten Gedichts zurück. Die Beklagte beziehe sich auch darauf. Die Veröffentlichung der Beklagten stelle einen Beitrag zum „geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage“ dar. Die Interessen der Klägerin müssten dahinter zurücktreten.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Anmerkung

Soweit unsere Kanzlei ermitteln konnte, hat sich die freie Rechtsprechung über das Bundesverfassungsgericht durchgesetzt; und hier wiederum über einen hoch angesehenen Richter, der nach dem Krieg vor allem auch an einer U.S.-Universität gelernt hat. Wenn sich das BVerfG einmal festgelegt hat, bleibt es grundsätzlich bei dieser Rechtsprechung. Es gibt selbstverständlich gute Gründe für diese Rechtsprechung. Aber, wenn die Bevölkerung gefragt wird, geht die Rechtsprechung zu weit nach der überwiegenden Meinung der Bevölkerung. Eine unnötige Verrohung der Sprachsitten wird die Mehrheit ablehnen. Nach der von uns ermittelten Grundnorm, ist demnach fraglich, ob sich der heutige (weitreichende) Stand der Rechtsprechung  vertreten lässt. Zur Grundnorm:

Siehe bitte Schweizer, „Die Entdeckung der pluralistischen Wirklichkeit” ab Seite XXXIII.