LG Frankfurt a.M. Urteil vom 10.12.2021. Das Urteil ist noch nicht veröffentlicht. Führend in der Berichterstattung ist zur Zeit wohl offenbar die F.A.Z.; faz.net publizierte noch am 10. Dezember, die Printausgabe der F.A.Z. in der nächstmöglichen Ausgabe, am 11.12.2021.

In Kürze

Weil Twitter beleidigende Inhalte zu spät entfernte, hat das Landgericht Frankfurt a.M. Twitter zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 6000 Euro an die betroffene Nutzerin verurteilt. Zudem hat das Gericht der klagenden Nutzerin zugebilligt, dass sie Unterlassung beanspruchen kann und Twitter die Gerichts- und Anwaltskosten tragen muss. Die Plattform hat trotz Kenntnis der Rechtswidrigkeit nicht unverzüglich gelöscht und ist dadurch mitverantwortlich an der Persönlichkeitsverletzung der Betroffenen. Verletzt wurde das Gesetz gegen Hass und Hetze. 

Die Vorgeschichte 

Anlass des Streits waren mehrere Posts, die Anfang 2019 auf Twitter ver­öffentlicht wurden. In ihnen wurde die betroffene Nutzerin im Rahmen einer aufgeheizten politischen Debatte unter anderem als „Abschaum“ und „Hure“ bezeichnet. Um rechtlich wegen Beleidigung gegen die Verfasser der Kommentare vorgehen zu können, beantragte sie einige Wochen später die Auskunft von Daten wie IP- und Mail-Adressen der Verfasser vor dem Landgericht Berlin.

Dort lehnte Twitter die Auskunft zunächst ab. Die betroffene Nutzerin habe durch eine vorangegangene „pauschalisierende und erkennbar nicht um eine sachliche Debatte bemühte Äußerung (. . .) entsprechend drastische, pauschal abwertende und undifferenzierte Reaktionen geradezu provoziert“. Bei den beanstandeten Tweets handele es sich nicht um Beleidigungen, sondern um „wertende Meinungsäußerungen über die Äußerungen der Klägerin“. Das LG Berlin gab der Klägerin Recht. 

Gegen den Beschluss legte der Konzern zunächst eine Beschwerde ein, zog diese jedoch später zurück und erteilte im Sommer 2020 Auskunft. Dabei stellte die Nutzerin fest, dass die entsprechenden Posts nach wie vor abrufbar waren, und forderte den Konzern auf, die Beiträge zu löschen. Das im September 2017 in Kraft getretene Gesetzespaket gegen Hass und Hetze, NetzDG - Netzwerkdurchsetzungsgesetz - verpflichtet soziale Netzwerke, rechtswidrige Inhalte nach Kenntnis und Prüfung zeitnah zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren.

Die rechtliche Beurteilung durch des LG Frankfurt

Twitter hat seine Sorgfaltspflichten verletzt. Die umstrittenen Äußerungen sind als Formalbeleidigungen oder Schmähungen zu qualifizieren. Sie verletzen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin. Auch Unmut über ihre vorangegangenen Äußerungen rechtfertigt nicht, die Betroffene zu beleidigen. Stattdessen wäre die Plattform  verpflichtet gewesen, die Posts unverzüglich nach Kenntnis zu löschen. Da dies jedoch erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung geschah, ist Twitter für die Persönlichkeitsrechtverletzungen mitverantwortlich.

Die Entschädigungszahlung soll nicht nur die erlittene Persönlichkeitsrechtsverletzung der Betroffenen kompensieren, sondern auch die Plattform dazu anhalten, entsprechende Inhalte künftig nach Kenntnis schneller zu löschen. Die Gefahr eines sogenannten Overblockings, also einer zu großzügigen Löschpraxis zu Ungunsten der Meinungsfreiheit, besteht bei derart schweren Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht. Stattdessen besteht ohne die unverzügliche Löschung von Hasskommentaren die Gefahr, dass Betroffene sich künftig nicht mehr öffentlich äußerten. Hassreden können einen erheblichen Einschüchterungseffekt haben und sogar Gewalt nach sich ziehen.

Anmerkung

Ehre, wem Ehre gebührt. Wir zitieren deshalb noch aus dem F.A.Z.-Bericht, gleichlautend in Print und Online:

Josephine Ballon von HateAid [gegenüber der F.A.Z.] begrüßte die Entscheidung. Sie sei ein „starkes Signal für Pflichten der Platt­formen und die Rechte der Nutzer“. Besonders hob Ballon die Grundsätzlichkeit des Urteils hervor. „Es handelt sich nicht um einen extremen Einzelfall, Twitter hat seine Prüfpflichten verletzt.“ Dass die entsprechenden Posts nicht eher gelöscht wurden, sei unverständlich. Die Plattformen müssten dringend bessere Strukturen zur Prüfung und Moderation von Hate-Speech schaffen, das Urteil übe dahingehend weiter Druck aus. „Wir freuen uns, dass wir die Rechtsfortbildung an dieser Stelle durch die Unterstützung des Falles mitgestalten können“, so Ballon.

Auch die betroffene Nutzerin äußerte sich im Gespräch mit der F.A.Z. zufrieden mit dem Urteil. „Das zeigt, das auch die Plattformen Verantwortung tragen und nicht nur die Infrastruktur stellen“, sagte sie. Aus Sorge vor weiteren Anfeindungen will sie anonym bleiben. Sie hoffe, dass die Social-Media-Plattformen künftig mehr gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Prof. Dr. Robert Schweizer

Prof. Dr. Robert Schweizer

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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