Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14.09.2021, Az. 2 Sa 26/21. Hervorhebungen, wie meist, zur schnellen Übersicht von uns.

Leitsätze
1. Eine arbeitsvertraglich vereinbarte Abrede, dass die Leistung von 10 Überstunden pro Monat mit der vereinbarten Vergütung abgegolten ist, entfaltet Wirksamkeit.

2. Eine derartige Klausel ist weder überraschend (§ 305 c BGB) noch benachteiligt sie den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 BGB).

3. Sie unterliegt als Hauptleistungsabrede keiner weiteren Inhaltskontrolle (§ 307 Abs. 3 BGB).

Orientierungssatz
Eine Pauschalvergütungsabrede für Überstunden findet ihre Grenzen in der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und in den Vorschriften zur Regelung eines Mindestlohns.(Rn.43)

Der Fall, wie ihn das Gericht wiedergibt, Hervorhebungen von uns.

Der Kläger war ab dem 15.03.2017 bis zum 31.01.2019 bei der Beklagten gemäß schriftlichem Arbeitsvertrag im Bereich der Lohn- und Finanzbuchhaltung, in der gesamten Büroorganisation eingesetzt. Die §§ 3 und 4 des Arbeitsvertrages lauten wie folgt:

㤠3 Arbeitszeit

1. Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Wochenstunden.

2. Die zeitliche Verteilung und der tägliche Arbeitsbeginn orientieren sich an den betrieblichen Erfordernissen.

§ 4 Vergütung

1. Der Arbeitnehmer erhält für seine vertragliche Tätigkeit während der Probezeit ein monatliches Gehalt in Höhe von 1.800,00 Eur. brutto.

2. Die Vergütung ist jeweils zum 15. des Folgemonats bargeldlos zu zahlen.

3. Mit der Bezahlung der vorgenannten Bezüge ist etwaige über die betriebliche Arbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit im Umfang von bis zu 10 Stunden pro Monat abgegolten.

4. Darüber hinaus aus dringenden betrieblichen Erfordernissen geleistete Mehrarbeit ist durch den Arbeitgeber zu vergüten oder durch Freizeitgewährung abzugelten.“

Der Kläger hat erstinstanzlich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Überstundenvergütung für 92 Stunden à 10,23 € brutto, insgesamt die Summe von 940,91 € brutto begehrt. Dazu hat der Kläger vorgetragen, er habe die Überstunden im Zeitraum Januar 2018 bis einschließlich Dezember 2018 geleistet und zur Erläuterung für einzelne Arbeitstage dieses Zeitraumes Tabellen mit Arbeitszeiten zur Akte gereicht.

Der Kläger hat dargetan, die Überstunden resultierten daraus, dass es von Seiten der Geschäftsführung der Beklagten die Forderung gegeben habe, das Büro stets von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu besetzen. Da dort lediglich zwei Personen tätig waren, hätten sich diese die Dienste so aufgeteilt, dass eine Person von 7.00 bis 16.00 Uhr und die andere Person von 8.00 bis 17.00 Uhr gearbeitet habe. Hieraus resultierten Überstunden ebenso wie aus gelegentlicher Tätigkeit an Samstagen, an denen die Abrechnung gegenüber der ARGE erstellt worden sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 20,46 € stattgegeben, diese im Übrigen abgewiesen mit der Begründung .........

Gegen dieses dem Kläger am 14.01.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 15.02.2021 (einem Montag) beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 10.03.2021 eingegangenem Schriftsatz begründet....

Die Beklagte stellt klar, dass sie den Zahlungsanspruch bereits erstinstanzlich nach Grund und Höhe bestritten habe und sich deshalb die Frage nach der Wirksamkeit der arbeitsvertraglichen Abgeltungsklausel nur sekundär stelle. Sie bestreitet die Ableistung von Mehrarbeit durch den Kläger, eine Erhöhung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit auf 42 bzw. 44 Wochenstunden, eine Tätigkeit des Klägers an Wochenenden sowie die klägerische Behauptung, dass regelmäßig wöchentlich Mehrarbeit habe geleistet werden müssen. Die Beklagte geht davon aus, dass Mehrarbeit nicht erforderlich gewesen sei. Sie trägt vor, auch eine Besetzung des Büros in der Zeit von 7.00 bis 17.00 Uhr führe bei einer entsprechenden Aufteilung auf zwei Arbeitnehmer nicht regelmäßig zu Mehrarbeit....

Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass er tatsächlich Überstunden geleistet hat, sind diese, soweit monatlich nicht mehr als 10 Überstunden angefallen sind, durch die unter § 4 Ziff. 3 des Arbeitsvertrages getroffene Pauschalvergütungsabrede abgedeckt (1.). Diese Regelung ist wirksam. Sie stellt weder eine überraschende Klausel (§ 305 c BGB) dar (2.), noch benachteiligt sie den Kläger unangemessen (§ 307 Abs. 1 BGB) (3.), noch ist sie aus irgendeinem anderen Grund unwirksam (4.).

Es kann dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich und regelmäßig über die arbeitsvertraglich vorgesehene regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche hinausgehende Arbeitsleistungen erbracht hat und diese auf Anordnung der Beklagten geleistet wurden bzw. unter deren Duldung bzw. erforderlich waren, um die übertragenen Aufgaben erledigen zu können. Soweit der Kläger in den Monaten des Jahres 2018 Überstunden geleistet hat, gehen diese nach den klägerischen Angaben monatlich, außer wie die erste Instanz bereits festgestellt hat, für den Monat Juli 2018, nicht über 10 Stunden hinaus. Gemäß § 4 Ziff. 3 des Arbeitsvertrages ist die Leistung von 10 Überstunden pro Monat jedoch mit der vereinbarten Vergütung abgegolten.

Die Klausel ist nicht überraschend im Sinne von § 305 c Abs. 1 BGB und damit Vertragsbestandteil geworden.

Nach § 305 c Abs. 1 BGB werden Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Dies setzt objektiv eine „ungewöhnliche“ Klausel voraus, mit deren Verwendung der Arbeitnehmer subjektiv nicht zu rechnen brauchte (BAG, Urteil vom 16.05.20212 - 5 AZR 331/11 - Rn. 16, juris). Eine Klausel, nach der über die betriebliche Arbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit im Umfang von bis zu 10 Stunden pro Monat mit der vereinbarten Bruttovergütung abgegolten sein soll, ist nicht ungewöhnlich. Arbeitgeber versuchen, Überstunden pauschal abzugelten. Es gibt eine Vielzahl von Regelungen in Arbeitsverträgen, mit denen das Ziel verfolgt wird, eine derartige pauschale Abgeltung zu erreichen (BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11).

Die Regelung findet sich unter der Überschrift „Vergütung“ und damit nicht an einer ungewöhnlichen Stelle eines Arbeitsvertrages, an welcher nicht mit einer derartigen Regelung gerechnet werden muss. Der Kläger hat auch keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass er mit einer derartigen Klausel nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte. Sie ist damit in keinerlei Hinsicht überraschend.

Die Pauschalvergütungsabrede ist nicht mangels hinreichender Transparenz unwirksam (§ 307 Abs. 3 S. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 2 BGB)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11 - Rn. 21 m. w. N., juris) ist eine die pauschale Vergütung von Überstunden regelnde Klausel nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsabschluss erkennen können, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss.

Nach diesen Grundsätzen ist die Klausel mit „der Bezahlung der vorgenannten Bezüge ist etwaige über die betriebliche Arbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit im Umfang von bis zu 10 Stunden pro Monat abgegolten“, klar und verständlich. Aus der Formulierung „abgegolten“ ergibt sich eindeutig, dass keine weitere Abgeltung bzw. Bezahlung erfolgt. Für den Kläger war auch erkennbar, dass bis zu 10 Stunden pro Monat auf ihn „zukommen“ konnten. Es war für ihn klar, dass er für die vereinbarte Vergütung in Höhe von 1.800,00 € brutto ggf. monatlich bis zu 10 Überstunden ohne zusätzliche Vergütung leisten musste. Die Klausel ist damit nicht unklar oder unverständlich.

Es liegen auch keine weiteren Unwirksamkeitsgründe vor.

Einer weitergehenden Inhaltskontrolle unterliegt die streitgegenständliche Klausel gemäß § 307 Abs. 3 S. 1 BGB nicht. Nach dieser Vorschrift unterfallen Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der uneingeschränkten Inhaltskontrolle nur dann, wenn durch sie von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Dazu gehören Klauseln, die (nur) den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistung festlegen, nicht. Im Arbeitsverhältnis sind das vor allem die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, über die §§ 305 ff. BGB den „gerechten Preis“ zu ermitteln (BAG, Urteil vom 16.05.2012 - 5 AZR 331/11).

Die streitbefangene Klausel ist Hauptleistungsabrede, die nur die Gegenleistung des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung betrifft. Sie legt damit den Umfang der vom Arbeitgeber geschuldeten vertraglichen Leistung fest, bildet eine Entgeltabrede, welche der weitergehenden Inhaltskontrolle nicht unterliegt.

Der Kläger kann nicht mit seinem Einwand gehört werden, er sei über die tatsächliche regelmäßige Arbeitszeit getäuscht worden. Unabhängig von der Frage, ob der Kläger tatsächlich regelmäßig statt der vereinbarten 40 Stunden pro Woche 42 bzw. 44 Stunden pro Woche geleistet hat, liegt im Arbeitsvertrag insoweit keinerlei Täuschung der Beklagten vor. ......

Soweit der Kläger meint, eine Pauschalvergütungsabrede für Überstunden könne nur ab einer bestimmten Höhe der Jahresvergütung getroffen werden, ist keinerlei Grund hierfür erkennbar. Es besteht die Vertragsfreiheit. Solange die vereinbarte Klausel nicht nach gesetzlichen Regelungen unwirksam ist, kann sie bei jeder Vergütungshöhe getroffen werden. Ihre Begrenzung findet sich in der Sittenwidrigkeit, im Falle des Lohnwuchers (§ 138 Abs. 2 BGB) wie auch des wucherähnlichen Geschäfts (§ 138 Abs. 1 BGB). Diese setzen jedoch ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung voraus, welches regelmäßig nur dann angenommen werden kann, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines in dem betreffenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Tariflohnes erreicht. Dafür hat der Kläger keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass durch eine regelmäßige Ableistung von 10 Überstunden im Monat durch den Kläger ein Bruttostundenlohn erzielt würde, welcher unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Wenn mit der Vergütung von 1.800,00 € brutto im Monat nicht nur 173 Monatsstunden nach der vereinbarten 40-Stunden-Woche, sondern 183 Monatsstunden abgegolten sind, ergibt sich ein Stundenlohn von 9,84 €, der über dem für 2018 vorgesehenen Mindestlohn von 8.84 € pro Stunde liegt. Lediglich eine Unterschreitung des Mindestlohnes könnte eine Unwirksamkeit der Klausel bewirken.

Weil die Pauschalvergütungsabrede - wie erstinstanzlich bereits festgestellt - einem Zahlungsanspruch des Klägers entgegensteht, kommt es nicht mehr darauf an, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Überstundenvergütung erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor.

 

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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