Europäischer Gerichtshof Urteil vom 25. November 2021 in der Rechtssache C-289/20 IB. Das Urteil ist so formuliert, dass es grundsätzlich auch im Markenrecht und anderen Rechtsgebieten allgemein anzuwenden ist; - auch wenn es unmittelbar zum Scheidungsrecht ergangen ist. Hervorhebungen zur schnellen Lesbarkeit von uns wie üblich. Hier das Wichtigste aus dem Urteil:

Der Fall

... Die Ehe des französischen Staatsangehörigen IB und der irischen Staatsangehörigen FA wurde 1994 in Irland geschlossen. Sie haben drei nunmehr volljährige Kinder. 2018 reichte IB beim Tribunal de grande instance de Paris (Landgericht Paris, Frankreich) eine Scheidungsklage ein. Nachdem sich dieses Gericht zur Entscheidung über die Scheidung für örtlich unzuständig erklärt hatte, rief IB die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) an. ... Insoweit führt es u. a. aus, dass zahlreiche Sachverhaltsmerkmale die persönliche und familiäre Verbindung von IB zu Irland erkennen ließen, wo er seit 1999 mit seiner Ehefrau und seinen Kindern gelebt habe. Es weist aber auch darauf hin, dass IB seit mehreren Jahren jede Woche nach Frankreich zurückgekehrt sei, wo er den Mittelpunkt seiner beruflichen Interessen begründet habe. Daher habe IB tatsächlich an zwei Orten einen Aufenthalt gehabt, nämlich einen unter der Woche aus beruflichen Gründen in Paris sowie einen bei seiner Frau und seinen Kindern in Irland, wo er die restliche Zeit verbracht habe.
Vor diesem Hintergrund wandte sich die Cour d’appel de Paris an den Gerichtshof, .......

Rechtliche Begründung.
...Mangels einer Definition des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ in der Brüssel IIa-Verordnung oder eines ausdrücklichen Verweises in diesem Zusammenhang auf das Recht der Mitgliedstaaten führt der Gerichtshof aus, dass dieser Begriff autonom und einheitlich auszulegen ist. Der Gerichtshof weist u. a. darauf hin, dass weder Art. 3 Abs. 1 Buchst. a noch eine andere Bestimmung der Brüssel IIa-Verordnung vorsehen, dass eine Person gleichzeitig mehrere gewöhnliche Aufenthalte oder einen gewöhnlichen Aufenthalt an mehreren Orten haben kann. Dies würde insbesondere die Rechtssicherheit beeinträchtigen und es schwieriger machen, im Voraus die Gerichte zu bestimmen, die über die Scheidung entscheiden können, sowie die Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit durch das angerufene Gericht erschweren....
Daher muss ein Ehegatte, der sich als Antragsteller auf die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats seines gewöhnlichen Aufenthalts nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel IIa-Verordnung beruft, zwingend seinen gewöhnlichen Aufenthalt in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem des früheren gemeinsamen Aufenthalts der Ehegatten verlegt haben. Er muss mithin den Willen zum Ausdruck gebracht haben, den gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in diesem anderen Mitgliedstaat zu errichten, und nachgewiesen haben, dass seine Anwesenheit in diesem Mitgliedstaat hinreichend dauerhaft ist....
Nach alledem kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass ein Ehegatte zwar im gleichen Zeitraum an mehreren Orten einen Aufenthalt haben kann, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt nur einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel IIa-Verordnung haben kann. Verbringt ein Ehegatte sein Leben in zwei Mitgliedstaaten, sind daher allein die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich dieser gewöhnliche Aufenthalt befindet, für die Entscheidung über den Antrag auf Auflösung der Ehe zuständig. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem dieses Gericht liegt, im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Brüssel IIa-Verordnung dem Ort entspricht, an den IB seinen gewöhnlichen Aufenthalt verlegt hat.



Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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