Bundesgerichtshof Urteil vom 22. Juli 2021, bekannt gegeben heute, 20.10.2021, Az. I ZB 16/20. Hervorhebungen von uns.
Das Urteil schließt:
"Der angefochtene Beschluss des Bundespatentgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 MarkenG). Für das weitere Verfahren, in dem das Bundespatentgericht erneut zu prüfen haben wird, ob sich die Farbe "Orange" im Verkehr als Marke für juristische Fachzeitschriften durchgesetzt hat, weist der Senat auf Folgendes hin:
Das Bundespatentgericht wird der Markeninhaberin im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des Senats zur Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Verkehrsdurchsetzung Gelegenheit zu geben haben, hierzu ergänzend vorzutragen und gegebenenfalls weitere Beweise, insbesondere ein demoskopisches Gutachten, vorzulegen oder die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens zu beantragen. Übersteigt der in einem solchen Gutachten ermittelte Zuordnungsgrad zum Anmeldezeitpunkt oder zum Entscheidungszeitpunkt die Schwelle von 50%, ist in der Regel von einer Verkehrsdurchsetzung der in Rede stehenden Farbmarke auszugehen (vgl. BGH, GRUR 2015, 1012 Rn. 34 f. - Nivea-Blau; vgl. zur Terminologie BGH, GRUR 2021, 1199 Rn. 59 - Goldhase III, mwN).
Vorangestellt sind dem Urteil diese Leitsätze
a) An der Rechtsprechung, wonach verbleibende Zweifel, ob ein Schutzhindernis im Eintragungszeitpunkt vorlag, zu Lasten des Antragstellers des Löschungsverfahrens und nicht des Markeninhabers gehen, hält der Senat nicht fest.
b) Es obliegt generell dem Markeninhaber, im Löschungsverfahren diejenigen Umstände nachzuweisen, aus denen sich der (Fort-)Bestand seiner Marke ergibt (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 19. Juni 2014 - C-217/13 und C-218/13, GRUR 2014, 776 Rn. 70 - Oberbank u.a. [Farbmarke-Rot]; EuGH, Urteil vom 22. Oktober 2020 - C-720/18 und C-721/18, GRUR 2020, 1301- Ferrari [testarossa]).
Anmerkung
1. Die folgenden Einleitungsätze zur Entscheidung des Bundespatentgerichts durchziehen die gesamte Begründung:
Die angegriffene Marke sei nicht gemäß § 50 Abs. 1 und 2 Satz 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen Fehlens der Unterscheidungskraft zu löschen. Die angegriffene Farbmarke verfüge nicht von Haus aus über die für eine Eintragung als Marke erforderliche Unterscheidungskraft. Es komme deshalb auf die Verkehrsdurchsetzung an. Die Markeninhaberin habe zwar für ihre Behauptung der Verkehrsdurchsetzung kein demoskopisches Gutachten vorgelegt. Es sprächen aber mittelbare Anzeichen wie Umsatz, Marktanteil, Intensität, geografische Verbreitung und Dauer der Benutzung der Marke für die juristische Fachzeitschrift "Neue Juristische Wochenschrift" (im Folgenden: NJW) dafür, dass das Eintragungshindernis im Anmeldezeitpunkt im Wege der Verkehrsdurchsetzung gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG überwunden worden sei.
2. Die große grundsätzliche Bedeutung des Urteils zur Veranschaulichung des neuen juristischen Denkens
Es gibt abertausend viele Begriffe in Gesetzen und Auslegungskriterien, nach denen pluralistischer Sachverhalt rechtserheblich ist. Nach herkömmlichem juristischem Denken wird bislang so getan, als könne der Entscheider von sich aus den nach der Begriffsdefinition erheblichen (pluralistischen) Sachverhalt selbst feststellen. Das Urteil des BGH bildet eine vorbildliche Ausnahme. Im Markenrecht finden sich immer wieder solche Ausnahmen. Dass generell so gedacht werden muss, ergibt sich aus einer von uns ermittelten ”Grundnorm”. Wir haben bereits in einer Reihe von Publikationen und in einer Vorlesung „Angewandte Rechtssoziologie” an der Ludwig-Maximilians-Universität München verhältnismäßig ausführlich dargelegt, dass und warum sich dieses herkömmliche Denken nicht halten lässt und eben juristisch anders, generell neu, gedacht werden muss. Hier auf unserer Website finden Sie in einer visuellen Vorauswahl im Volltext einen erheblichen Teil unserer Ausführungen:.
https://www.schweizer.eu/kanzlei/publikationen/ Vgl. insbesondere die Schrift: „Die Entdeckung der pluralistischen Wirklichkeit” und die Beiträge in den Festschriften für Prof. Sonnenberger, Prof. Heldrich und Prof. Geimer. Aus diesem Material sowie vor allem aus unseren weiteren auf unserer Website aufgeführten Abhandlungen und Beiträgen unserer Kanzlei, lässt sich herauslesen, ob sich gegen dieses Urteil methodisch im Rahmen der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts etwas einwenden lässt.
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