Oberlandesgericht Schleswig Urteil vom 30.9.2021, Az. 11 U 18/21. Notwegerecht an ehemals herrenlosem Straßengrundstück.

Leitsatz
Der Eigentümer eines ehemals herrenlosen Weges darf die Nutzung seines Weges durch die anliegenden Grundstückseigentümer nicht behindern, wenn deren Grundstücke im Übrigen keine direkte Anbindung an einen öffentlichen Weg haben. Dass die anliegenden Grundstückseigentümer sich das Wegegrundstück nicht selbst angeeignet haben, hindert sie nicht, sich auf die Notlage zu berufen.

Der Fall wird so geschildert:

Die Kläger sind Miteigentümer eines Hausgrundstücks, auf dem sich auch eine Garage befindet. Dieses Hausgrundstück ist über einen Weg erreichbar. Der Weg wird seit 1969 von den jeweiligen Bewohnern des Hausgrundstücks benutzt.

Anfang 2019 haben der Beklagte und seine Frau das Straßengrundstück von dem Voreigentümer erworben. Der Voreigentümer hatte sich das Straßengrundstück im Jahr 2017 angeeignet, nachdem der Weg durch Eigentumsaufgabe herrenlos geworden war und sich weder die Gemeinde noch die Kläger das Weggrundstück angeeignet hatten.

Im Januar 2019 wandte sich der Beklagte an die Kläger und die anderen Anlieger des Weges. Er untersagte ihnen jegliche Nutzung ohne schriftliche Zustimmung der neuen Eigentümer und bot Gespräche an, um eine für die Anlieger attraktive Lösung zu finden. Später errichtete er Verbotsschilder und sperrte den Weg ab. In einem gerichtlichen Eilverfahren wurde er zur Unterlassung der Sperrung verpflichtet. Mit ihrer Klage verlangten die Kläger vom Beklagten, es zu unterlassen, auf dem Weg Hindernisse zu errichten, die die Zufahrt erschweren. Das Landgericht Lübeck gab der Klage statt. Dagegen legte der Beklagte Berufung ein. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Begründung durch das OLG

Der Unterlassungsanspruch der Kläger leitet sich aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ab. Den Klägern steht ein Notwegrecht an dem Straßengrundstück des Beklagten zu.. Ihr Grundstück hat keine direkte Anbindung an ein öffentliches Grundstück. Die ordnungsgemäße Benutzung ihres Hausgrundstücks erfordert auch, dass Kraftfahrzeuge zum Haus gelangen können. Die auf dem Grundstück errichtete Garage ist genehmigt; die Garage wird demnach ordnungsgemäß.

Dem Notwegerecht steht nicht entgegen, dass die Kläger auch über zwei andere Wege zu ihrem Grundstück gelangen können. ...

Der Umstand, dass sich die Kläger den Weg selbst hätten aneignen können, macht es nicht rechtsmissbräuchlich, die Unterlassungsansprüche auszuüben. Es war Sache der Gemeinde, das Eigentum an dem Weg zu erwerben. Es ist deshalb nicht sachfremd und widersprüchlich, sich auf die jetzige Notlage zu berufen.

Anmerkung

§ 1004 Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch bestimmt:
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.

Wie oft im Nachbarschaftsrecht hat das Gericht dezisionistisch entschieden. Vgl. zu diesem Kriterium in unserer Suchfunktion: Dezisionismus: Entscheidung je nach eigenem, möglichst pflichtbewussten Rechtsbewusstsein des Gerichts. So etwa beim Kriterium des Rechtsmissbrauchs. In der Regel wird es dem Rechtsvertreter gelingen, die insgesamt praktikabelste Lössung durchzusetzen. So wohl auch in diesem Fall.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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