Bundesgerichtshof Urteil vom 29. April 2029, bekannt gegeben heute, 6.9.2021, Az. I ZR 193/20. Das Urteil ist inhaltsreicher, als man annehmen möchte. Es betrifft vordergrünig zwar nur ein Recht auf Betreten eines Bauwerks zu Aufnahmen. AGB, Urheberrecht, Verkehrsauffassungs- mit Markenrecht bilden Beispiele für die Heranziehung des Urteils. Hervorhebungen von uns.

Leitsatz

„Die in Musterverträgen zugunsten von Architekten verwendete Klausel

„Der Auftragnehmer ist berechtigt - auch nach Beendigung dieses Vertrags - das Bauwerk oder die bauliche Anlage in Abstimmung mit dem Auftraggeber zu betreten, um fotografische oder sonstige Aufnahmen zu fertigen.”


ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie bei der gebotenen objektiven Auslegung den Vertragspartner des Architekten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.”

Begründung

AGB

„Die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch das Berufungsgericht ist revisionsrechtlich in vollem Umfang überprüfbar (vgl. BGH, GRUR 2019, 284 Rn. 41 - Museumsfotos, mwN). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie ein verständiger und redlicher Vertragspartner sie unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise versteht, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ausgangspunkt für eine solche Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie deren Wortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften der in Rede stehenden Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner zu beachten ist (BGH, Urteil vom 23. Juli 2020 - I ZR 119/19, BGHZ 226, 262 Rn. 30 mwN). Verbleiben nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten Zweifel und sind zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar, geht die Unklarheit nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2017 - I ZR 253/14, GRUR 2017, 397 Rn. 65 = WRP 2017, 434 - World of Warcraft II; BGHZ 226, 262 Rn. 30). Dabei ist die kundenfeindlichste Auslegung maßgeblich, also diejenige Auslegung, die zur Unwirksamkeit der Klausel und zur Anwendung des dispositiven Rechts führte (BGH, Urteil vom 13. Februar 2020 - IX ZR 140/19, ..). Allerdings bleiben solche Auslegungsmöglichkeiten außer Betracht, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und daher nicht ernstlich in Betracht zu ziehen sind (BGH, Urteil vom 13. November 2012 - XI ZR 500/11, BGHZ 195, 298 Rn. 16; BGH, GRUR 2019, 284 Rn. 43 - Museumsfotos). ....

Im Übrigen ergibt sich aus einer Branchenüblichkeit allein noch keine Angemessenheit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung. Eine eventuell branchenübliche Verwendung der in Rede stehenden Klausel besagt nicht, dass in der Branche über das Verständnis dieser Klausel in jeder Hinsicht und insbesondere hinsichtlich der Frage der Reichweite des Zugangsrechts Einigkeit besteht. Die Revision macht zudem nicht geltend, der Kläger habe Umstände vorgetragen, nach denen die in Rede stehende Klausel, die bei objektiver Auslegung den vom Berufungsgericht zutreffend ermittelten Inhalt hat, zu einer sowohl von Seiten der Architekten als auch seitens der Auftraggeber als angemessen angesehenen Verkehrssitte erstarkt ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Januar 1989 - XI ZR 54/88, BGHZ 106, 259, 267 [juris Rn. 28]; Urteil vom 18. Januar 2017- VIII ZR 263/15...jeweils mwN). ....”

Kein Anspruch aus Urheberrecht

„Das Berufungsgericht hat außerdem rechtsfehlerfrei angenommen, dass sich der geltend gemachte Duldungsanspruch nicht aus § 25 Abs. 1 UrhG ergibt. ...

Bei der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit handelt es sich um eine Frage der Rechtsanwendung. Für die Feststellung der dieser rechtlichen Beurteilung zugrundeliegenden tatsächlichen Voraussetzungen gelten die allgemeinen Regeln gemäß § 286 ZPO (BGH, Urteil vom 16. April 2015 - I ZR 225/12, GRUR 2015, 1189 Rn. 62 = WRP 2015, 1507 - Goldrapper, mwN). Dabei ist davon auszugehen, dass Mitglieder eines fachspezifischen Spruchkörpers regelmäßig hinreichenden Sachverstand haben, um die Schutzfähigkeit und Eigentümlichkeit eines Werks der bildenden Kunst zu beurteilen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anspruchsteller sich für den behaupteten Rang des Werks auf dessen Eindruck und Form und nicht auf die Beurteilung in der Kunstwelt stützt (vgl. in diesem Sinn zu Bauwerken: BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - I ZR 98/17, BGHZ 221, 181 Rn. 52 - HHole (for Mannheim), mwN; anders bei Musikwerken, wenn es um die Beurteilung der Lehren von Harmonik, Rhythmik, Melodik und die Feststellung der Üblichkeit der Verwendung von Gestaltungsmitteln einer bestimmten Musikrichtung geht: BGH, GRUR 2015, 1189 Rn. 64 und 66 - Goldrapper).”

Anmerkung

Zur Ermittlung der Verkehrsauffassung entspricht das Gericht dem gegenwärtigen Stand von Rechtsprechung und Literatur. Zu diesem Stand muss man jedoch wissen: Mit einer repräsentativen Umfrage könnte die Einschätzung des Gerichts widerlegt werden. Ein Präzedenzbeispiel bildet das Urteil des OLG München vom 19. Juni 1997, Az. 29 U 5606/96, AfP 1997, 931 ff. mit ausführlicher Anmerkung Schweizer. Was dort ausgeführt wird, gilt heute noch wie damals. So wird es auch bleiben, ist anzunehmen. Siehe bitte auch die Beschreibung unseres Beratungsfeldes „Verkehrsauffassungsrecht”

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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