Bundesgerichtshof Urteil vom 20. Juli 2021, bekannt gegeben heute, 1.9.2021, Az. VI ZR 63/19. Nach EU-Recht ist nach der geltend gemachten Anspruchsgrundlage zu unterscheiden zwischen unerlaubter Handlung (hier: im Vorfeld des Vertragsschlusses) und Pflicht aus einem Vertrag. Nebenbei: Zu welchen Schnäppchen Gerichte und Rechtsanwälte herhalten müssen, vgl. die Anmerkung.

Leitsatz

Macht ein in Deutschland ansässiger Kläger geltend, er habe aufgrund vorsätzlich falscher Angaben des in Bulgarien ansässigen Beklagten über den Zustand einer Sache in einer auf einer Internetplattform eingestellten Verkaufsanzeige einen Kaufvertrag abgeschlossen und den vereinbarten Kaufpreis an den Beklagten überwiesen und stützt der Kläger den Schadensersatzanspruch ausschließlich auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, ist für diese Klage der unionsrechtliche Gerichtsstand der unerlaubten Handlung eröffnet.

Rechtliche Begründung

Im Streitfall stützt die Klägerin ihre Klage nicht auf einen vertraglichen Anspruch, das heißt auf eine freiwillig eingegangene Verpflichtung aus einem zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrag, sondern auf einen deliktischen Anspruch, also auf eine gesetzliche Verpflichtung. Es geht um den Vorwurf
der arglistigen Täuschung im Vorfeld des Vertragsschlusses und insoweit um den Verstoß gegen die jedermann treffende Pflicht, keine betrügerischen Verkaufsinserate zu schalten. Dies stellt eine unerlaubte Handlung dar und nicht die bloße Verletzung einer Pflicht aus einem abgeschlossenen Vertrag. Der Vertragsschluss ist nur insoweit von Bedeutung, als er Ziel und Folge der arglistigen Täuschung ist. Die Rechtswidrigkeit des behaupteten Verhaltens ergibt sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB und damit unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. auch Spickhoff, NJW 2020, 3759 Rn. 16; Cranshaw, jurisPR-IWR 1/2021 Anm. 1).
 Für die Frage der internationalen Zuständigkeit kommt es nicht darauf an, ob und mit welchem Inhalt eine weitere vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien über den Zustand des Fahrzeugs in Sofia geschlossen wurde (vgl. auch Thode, jurisPR-BGHZivilR 26/2020 Anm. 1). Ein solcher Vertrag würde die
die Zuständigkeit begründende unerlaubte Handlung nicht beseitigen. Er wäre allein für die Frage relevant, ob der durch die behauptete unerlaubte Handlung begründete Schadensersatzanspruch nachträglich entfallen ist.

Anmerkung

Wieder so ein Fall, für den gilt: Der Laie staunt, und der Fachmann grinst. Deshalb ist ein Rechtsanwalt vonnöten, oder man muss eben „Rechtswissenschaft” studieren und am besten ein „Großes Staatsexamen” ablegen. P.S.: Uns ist schon klar, dass die Redewendung heißt: „... und der Fachmann wundert sich". Aber der Fachmann wundert sich nicht, sondern nimmt eben in Kauf, dass das System halt so ist.

Wen deshalb der Sachverhalt „für Lehrzwecke” interessiert; der BGH berichtet die Geschichte:

Der Geschäftsführer der in Deutschland ansässigen Klägerin war am
15. Februar 2016 auf eine in einer Internetplattform eingestellte Verkaufsanzeige
("Inserat") aufmerksam geworden, in welcher das Fahrzeug wie folgt angeboten
wurde:
"Keine Kratzer, keine Beulen, reines Schönwetterfahrzeug in makellosem Bestzustand" (…) "Technisch und optisch sehr guter Zustand, ohne Mängel (…)".

Verkäuferin des Fahrzeugs war die Beklagte. Die Klägerin nahm zunächst Kontakt mit dem Vertreter der Beklagten in Deutschland (im Folgenden: "P.") auf. Aufgrund eines Gesprächs mit P. überwies die Klägerin am 18. Februar 2016 den gemäß einer Rechnung vom 18. Februar 2016 ausgewiesenen Verkaufspreis
von knapp 60.000 € brutto an die Beklagte. In der in englischer Sprache abgefassten Rechnung werden die Beklagte als "seller" und die Klägerin als "buyer" bezeichnet.
Sodann begab sich der der bulgarischen Sprache nicht mächtige Geschäftsführer der Klägerin vereinbarungsgemäß nach Sofia, um das Fahrzeug abzuholen. Dort fanden Gespräche statt, deren Inhalt im Einzelnen streitig ist.
Unstreitig erfuhr der Geschäftsführer dort, dass das Fahrzeug in der Vergangenheit einmal gestohlen worden war. Außerdem wurde ein in bulgarischer Sprache abgefasster Kaufvertrag unterschrieben. In dem Kaufvertrag heißt es unter anderem, das Fahrzeug habe einen schweren Unfall erlitten und sei später in einer freien, der Verkäuferin nicht bekannten Werkstatt repariert worden. Die Reparatur entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften und es gebe dafür keine Dokumentation. Das Fahrzeug sei fahrbereit, habe aber viele technische Defekte, die der Käuferin bekannt seien.
Die Klägerin behauptet, ihr sei der Inhalt des in Bulgarien unterzeichneten Kaufvertrags nicht mitgeteilt worden.

Anmerkung

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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