Der Musterprozess ist schon da. Das Berliner Landgeicht und das Kammergericht beurteilten eine Bildpublikation, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wohl rechtmäßig, nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs jedoch - jedenfalls nach Ansicht des Kammergerichts - rechtswidrig war.
Beurteilt wurde ein Bericht mit Fotos, die Grönemeyer mit Lebensgefährtin durch Rom flanierend und in einem Straßencafé auf dem Boulevard sitzend zeigen.
Das Landgericht Berlin wies - der Rechtsprechung des BVerfG folgend - den Antrag auf Erlaß einer einsweiligen Verfügung ab. Das KG folgte jedoch dem Straßburger Urteil und erließ die von der Lebensgefährtin Grönemeyers beantragte Verfügung; - und dies obwohl des BVerfG am 14. Oktober entschieden hat:
Die Menschenrechtskonvention, die das Straßburger Gericht anwendet, rangiert in Deutschland als einfaches Recht unter der deutschen Verfassung. Deshalb sind die deutschen Gerichte daran gebunden, wie das BVerfG die deutsche Verfassung anwendet.
Der entscheidende Satz im Urteil des Kammergerichts steht auf Seite 6 unten des uns am 10. November zugestellten Urteil des KG:
„Die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. 12. 1999 ist insoweit im Hinblick auf die Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassung gelockert.”
Hier von uns eine allererste, an dieser Stelle notwendigerweise kurze Anmerkung zu diesem Urteil:
Grönemeyer ist der erfolgreichste deutschsprachige Musiker. Noch vor Erscheinen seines Albums „Mensch” im Jahre 2002 hatte G. schon über 12 Mio. Alben verkauft und seine Konzerte waren bereits damals von fast vier Mio. Menschen besucht worden. Zu Großveranstaltungen erschienen 100.000 (Berlin Ahrensfelde) und 50.000 (Wiener Praterstadion) Besucher. Fan-Clubs existieren. Zum Beispiel veranstaltete er Konzerte zur Eröffnung der Expo, vor dem Brandenburger Tor und in Bitterfeld.
Als Anfang August 2002 die Single „Mensch” - geprägt vom Tode seiner langjährigen Lebensgefährtin und Mutter seiner beiden Kinder im Jahre 1998 - als vorab veröffentlichter Titelsong eines neuen Albums erscheint, belegt sie sofort den ersten Platz der deutschen Media Control Charts, 500.000 Singles auf Anhieb verkauft. Eine Million Vorbestellungen gehen sensationell für das Album „Mensch” ein. Es wird zum schnellstverkauften Longplayer in der Geschichte der deutschen Tonträgerindustrie. Auf einer umfangreichen Hallentournee wird G. im November 2002 frenetisch gefeiert. 2003 erhält G. auch - wie schon früher zu anderen Anlässen - einen Echo für den Erfolg seiner Single „Mensch” und achtfaches Platin für mehr als 2,4 Mio. verkaufter Tonträger. Interview im SPIEGEL, in dem auch der Tod seiner Lebensgefährtin und seine Ansicht zu einer neuen Verbindung zur Sprache kommen.
Es folgen erste öffentliche Auftritte Grönemeyers mit seiner neuen Lebensgefährtin. Erstes erfolgloses Gerichtsverfahren der Lebensgefährtin gegen Fotos von einem Besuch im Sraßencafé vor dem Londoner Domizil Grönemeyers.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechuing wie zuvor schon der Bundesgerichtshof und die anderen deutschen Gerichte die von uns in den Verfahren vorgetragene rechtssoziologische Argumentation vertreten:
Die Leitbidfunktion solcher Persönlichkeiten lässt sich nicht negieren. Es muss verfassungsrechtlich respektiert werden, dass - in der Soziologie und in der Psychologie allgemein anerkannt - jeder Mensch von Kindesbeinen an Bezugspersonen benötigt. Deshalb ist es zulässig, die Realität über Prominente auch mit Fotos aus der Sozialsphäre zu vermitteln, wenn sich die Prominenten nicht „in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückziehen”. Würde anders entschieden, könnten die Prominenten die Medien steuern. Nämlich:
Das Interesse an den Prominenten lässt sich nicht unterdrücken. Wenn Prominente in Publikationen einwilligen müssten, könnten sie jede Veröffentlichung untersagen, die sie nicht so darstellen, wie sie es wünschen.
Das Ergebnis wäre die Hofberichterstattung und der Kommunikee-Journalismus.
Das Kammergericht und das Straßburger Gericht haben diese rechtssoziologischen und psychologischen Anforderungen an das Recht nur in der Form gewürdigt, dass sie sie wortlos übergangen haben.
Das KG hat erst im einstweiligen Verfügungsverfahren geurteilt, so dass noch, von der ersten Instanz an, das Hauptsacheverfahren durchgeführt werden muss. Nach den bisherigen Erfahrungen beansprucht der Weg nach Karlsruhe zum BGH und zum BVerfG fünf Jahre allgemeine Rechtsunsicherheit, vom Weg nach Straßburg und zurüch zu den einzelnen erst- und zweitinstanzlichen Gerichten ganz zu schweigen.
Die Verlage und die Chefredakteure haben offenbar doch gewusst, warum sie so eindringlich die Bundesregierung aufgefordert haben, die Verweisung der driiten Kammer des EGMR an die Große Kammer zu beantragen.
Das Urteil des Kammergerichts, Az.: 9 W 128/04, werden wir am Montag hier ins Netz stellen.