Landessozialgericht Essen, Urteil vom 09.11.2020, Az. L 17 U 487/19. Beim morgendlichen Weg innerhalb des Hauses in das Arbeitszimmer handelt es sich weder um einen Weg zur Arbeit, noch um einen Betriebsweg, so das Gericht. In der sehr ausführlichen Begründung stellt das Gericht rechtsmethodisch auf die Rechtssicherheit und letztlich auf den Grundsatz der Gleichbewertung des Gleichsinnigen ab: Gleichbewertung mit dem Schutz der außerhalb ihrer Räumlichkeiten arbeitenden Beschäftigten erst ab Durchschreiten der Haustüre.
Der Fall, wie ihn das LSG schildert.
Der Kläger ist seit 2007 als Gebietsverkaufsleiter im Außendienst versicherungspflichtig beschäftigt. In der Unfallanzeige gab seine Arbeitgeberin an, der Kläger sei am 17.9.2018, einem Montag, um 07:10 Uhr im Homeoffice aus den Wohnräumen in die Büroräume die Treppe abwärts gestürzt und habe sich dabei einen Brustwirbeltrümmerbruch zugezogen. Am 21.9.2018 berichtete der Durchgangsarzt der Kläger sei angabegemäß bei Beginn der Arbeitszeit um 7:00 Uhr im Homeoffice - er arbeite von zu Hause aus - verunfallt. Und zwar sei er auf dem Weg in sein Homeoffice von der vierten in die dritte Etage gewesen. Dabei habe er eine Stufe verfehlt und sei daraufhin die Wendeltreppe hinuntergestürzt. Der Durchgangsarzt diagnostizierte eine instabile Berstungsfraktur des 12. Brustwirbelkörpers (BWK 12).
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 25.9.2018 die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus Anlass des Unfalls vom 17.9.2018 ab. Hiergegen legte der Kläger am 5.8.2018 fristgerecht Widerspruch ein. Der Unfall habe sich auf direktem Wege von den Wohnräumen in den Arbeitsbereich ereignet und stelle deshalb einen Arbeitsunfall dar.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2018, dem Kläger zugestellt am 12.12.2018, als unbegründet zurück. Ein Versicherungsfall liege nicht vor. Denn auf einem Weg von den Privaträumen in den betrieblichen Bereich zum Zweck der Arbeitsaufnahme beginne der Unfallversicherungsschutz grundsätzlich erst mit dem Erreichen der Betriebsräume.
Hiergegen hat sich die am 11.01.2019 erhobene Klage gerichtet, mit der der Kläger dargelegt hat, er habe am 17.09.2018 morgens seine Arbeit aufnehmen wollen, sodass der Sturz auf der Treppe sich im Rahmen seiner Tätigkeit für seine Arbeitgeberin ereignet habe.
Das Sozialgericht (SG) hat den Kläger im Rahmen seiner öffentlichen Sitzung vom 14.06.2019, zu der der Kläger eine Fotodokumentation über die räumlichen Verhältnissein dem von ihm bewohnten Mehrfamilienhaus überreicht hat, zu den räumlichen Gegebenheiten in der von ihm bewohnten Wohnung sowie zum konkreten Hergang des Sturzes angehört. Der Kläger hat im Wesentlichen ausgeführt: Er arbeite je nach Bedarf zu Hause. Dies sei in seinem Anstellungsvertrag schriftlich niedergelegt. Er sei Gebietsverkaufsleiter. In dieser Funktion werde von ihm erwartet, dass er ein Büro zur Verfügung stelle. Er erhalte von seinem Arbeitgeber auch eine Pauschale dafür, dass er im Homeoffice arbeite. Dies sei auch im Anstellungsvertrag so vorgesehen. In der vierten Etage, die auf dem ersten Bild der überreichten Aufnahmen zu sehen sei, befänden sich drei Räume, ein Ankleidezimmer, ein Bad und ein Schlafzimmer. Er sei am Unfalltag aus dem Badezimmer gekommen und habe zum Arbeitszimmer in der dritten Etage gehen wollen. Er frühstücke morgens eigentlich nie. Gelegentlich trinke er im Homeoffice einen Kaffee. Am 17.9.2018 sei er aber auf dem Weg vom Bad zum Arbeitsplatz gewesen. Er habe nicht etwa frühstücken oder sich Kaffee holen wollen. Er habe vielmehr zu arbeiten anfangen wollen. Über die EDV müsse sich auch dokumentieren lassen, dass er in der Regel um diese Uhrzeit - gegen 7:00 Uhr - morgens anfange zu arbeiten.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 14.6.2019 der Klage stattgegeben. Der vom Kläger am 17.09.2018 erlittene Sturz stelle einen Arbeitsunfall dar.
Rechtliche Begründung des LSG-Urteils
.... Anders als das SG meint, vermag in der vorliegenden Konstellation auch das Abstellen auf die auf Aufnahme der versicherten Tätigkeit gerichtete Handlungstendenz des Klägers "als eine seiner Arbeitgeberin dienende Tätigkeit" nicht zur Annahme eines Betriebsweges zu führen. Anderenfalls käme es im Ergebnis auch zu einer aus Sicht des Senats nicht gerechtfertigten Besserstellung von Beschäftigten im Homeoffice im Vergleich zu Beschäftigten, die außerhalb ihrer eigenen Räumlichkeiten arbeiten. Bei Letzteren ist der betriebsbezogene Weg nach dem Ort der Tätigkeit nicht als Betriebsweg anzusehen, sondern kann allenfalls über § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII als Wegeunfall versichert sein. Der Versicherungsschutz der Wegeunfallversicherung beginnt aber, wie dargelegt, erst nach Durchschreiten der Haustür (BSG, Urteil vom 27.11.2018, - B 2 U 28/17 R -, juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 05.07.2016 - B 2 U 5/15 R -, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 12.12.2006 - B 2 U 1/06 R -, juris Rn. 14). Für den Senat sind keine Gründe ersichtlich, aus denen ein Beschäftigter im Homeoffice auf einem Weg ins Arbeitszimmer - der nicht mit einer dem Unternehmen zu dienenden objektiven Handlungstendenz vorgenommen wird, die über die bloße Arbeitsaufnahme hinausgeht - über die Bejahung eines Betriebsweges insoweit bessergestellt werden sollte, als ein nicht im Homeoffice Beschäftigter. Letzterer wäre bei einem entsprechenden Sturz im häuslichen Bereich ebenfalls nicht versichert. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschäftigung im Homeoffice zu einer zunehmenden Verlagerung von dem Unternehmen dienenden Verrichtungen in den häuslichen Bereich führt, besteht für eine solche Einbeziehung des von der bisherigen Rechtsprechung bis zum Durchschreiten der Haustür stets dem privaten Risikobereich zugeordneten "Anfahrtsrisikos" in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung für im Homeoffice Beschäftigte kein Raum.
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