Bundesgerichtshof Urteil vom 15. Oktober 2020, Az. I ZR 135/19, bekannt gegeben am 16.3.2021.

Pure Pearl

Leitsätze

„a) Bei der im Rahmen der markenrechtlichen Verwechslungsgefahr vorzunehmenden Prüfung, ob zwischen den Waren, für die die Marke eingetragen ist (hier: Fahrräder), und den Waren, für die das angegriffene Zeichen benutzt wird (hier: Kraftfahrzeuge), Warenähnlichkeit besteht, sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen diesen Waren kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere die Art dieser Waren, ihr Verwendungszweck, ihre Nutzung sowie die Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren. In die Beurteilung einzubeziehen ist, ob die Waren oder Dienstleistungen regelmäßig von denselben Unternehmen oder unter ihrer Kontrolle hergestellt oder erbracht werden oder ob sie beim Vertrieb Berührungspunkte aufweisen, weil sie in denselben Verkaufsstätten angeboten werden.
b) Allein aus der Erteilung von Lizenzen für andere als diejenigen Waren, für die der Markenschutz gilt, lässt sich kein Anhaltspunkt für eine Warenähnlichkeit ableiten. Dies schließt es allerdings nicht aus, dass bei funktionsverwandten Produkten, bei denen im Falle einer Lizenzierung der Verkehr nicht nur von einem Imagetransfer, sondern auch von einem Know-how-Transfer ausgeht, die Lizenzierungspraxis einen Faktor darstellt, der im Grenzbereich für die Warenähnlichkeit beziehungsweise bei gegebener Warenähnlichkeit für die Verwechslungsgefahr sprechen kann. Da die Verkehrserwartung im Hinblick auf die angegriffene Verwendung der geschützten Marke zu beurteilen ist, kommt es insoweit darauf an, ob der Verkehr im Falle einer Lizenzierung der für bestimmte Waren (hier: Fahrräder) geschützten Marke zur markenmäßigen Verwendung für andere Waren (hier: Kraftfahrzeuge) von einem Know-how-Transfer ausgeht (Fortführung von BGH, Urteil vom 30. März 2006 - I ZR 96/03, GRUR 2006, 941 Rn. 14 = WRP 2006, 1235 - TOSCA BLU).”

Das Urteil schließt

Das Berufungsgericht hat zwar festgestellt, dass Zeichenähnlichkeit vorliegt. Zum Grad der Zeichenähnlichkeit hat es jedoch bislang keine Feststellungen getroffen. Das Ergebnis der Prüfung der Ähnlichkeit einander gegenüberstehender Zeichen kann von Zeichenunähnlichkeit über Zeichenähnlichkeit bis zu Zeichenidentität reichen; liegt Zeichenähnlichkeit vor, ist deren Grad genauer zu bestimmen. Dabei kann zwischen sehr hoher (weit überdurchschnittlicher), hoher (überdurchschnittlicher), normaler (durchschnittlicher), geringer (unterdurchschnittlicher) und sehr geringer (weit unterdurchschnittlicher) Zeichenähnlichkeit unterschieden werden (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2012 - I ZR 85/11, GRUR 2013, 833 Rn. 55 = WRP 2013, 1038 - Culinaria/Villa Culinaria). Entsprechende Feststellungen wird das Berufungsgericht gegebenenfalls nachzuholen haben.

Anmerkungen

1. Was den Sachverhalt betrifft, geht es darum:

Die in Südafrika ansässige Klägerin ist Inhaberin der am 7. Juli 2008 angemeldeten und am 8. Mai 2009 für Fahrräder eingetragenen Unionsmarke Nr. 007042971 "PEARL" sowie der am 24. Juli 2003 angemeldeten und am 3. November 2003 eingetragenen deutschen Wortmarke Nr. 303 37619 "PEARL", die Schutz für "Fahrräder, Fahrradteile (soweit in Klasse 12 enthalten)" beansprucht.

Die in Frankreich geschäftsansässige Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der Peugeot S. A., die unter anderem Kraftfahrzeuge, Fahrräder und Motorroller herstellt. Die Peugeot S. A. gehört zur PSA-Gruppe, unter deren Dach Fahrzeuge der Marken "Peugeot" und "Citroën" beworben, angeboten und vertrieben werden. Die Beklagte ist Inhaberin der Unionsmarke Nr. 011834926 "PURE PEARL", die am 22. Mai 2013 angemeldet und am 3. Oktober 2013 eingetragen wurde. Diese Marke beansprucht mit einer Priorität vom 21. Mai 2013 Schutz in der Klasse 12 unter anderem für "Fahrzeuge, Apparate für Beförderung auf dem Lande, Kraftfahrzeuge, Bauteile dafür".

2. Inhaltlich ist aus dem Urteil vor allem auch bemerkenswert (das Fahrrad ein „echter Porsche"):

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, zwischen Kraftfahrzeugen und Fahrrädern bestehe absolute Warenunähnlichkeit, erweist sich auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil es den Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt hat, dass die Entwicklung auf dem Markt hinsichtlich unterschiedlicher Arten der Mobilität dazu führe, dass keine klare Trennung zwischen Fahrrädern und Kraftfahrzeugen (mehr) bestehe.

Im Markenrecht versteht es sich heute schon von selbst, dass auf die Verkehrsauffassung oder Verkehrserwartung abgestellt wird. Das Urteil verwendet nun nicht die Ergebnisse einer Umfrage. Vielmehr stellt es von sich aus Erwägungen an. Hervorzuheben ist, dass das Gericht nicht normativ den Begriff Verkehrsauffassung ändert. Vgl. bitte zur Unterscheidung „normative” und „Ist-Verkehrsauffassung" mit zahlreichen Beispielen über die Suchfunktion unserer Homepage.  

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

TELEFON:

+49.89.9280850

E-MAIL:

as@schweizer.eu

Zum Profil