Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 18.12.2020, Az. 4 W 842/20. Hervorhebungen von uns.
Erneut scheitert ein Anspruch an einer Gesamtabwägung im Spannungsfeld zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht bei investigativem Journalismus.
Leitsätze
1. Steht die Veröffentlichung eines möglicherweise das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigenden Beitrags unmittelbar bevor, kann die Erstbegehungsgefahr für einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch nicht allein deswegen verneint werden, weil sich das Pressunternehmen darauf beruft, der Beitrag sei "redaktionell noch nicht abgenommen".
2. Regelmäßig setzt die Erstbegehungsgefahr aber voraus, dass der Betroffene den konkreten Inhalt eines Beitrags kennt und dem Gericht entsprechende Materialien vorlegen kann.
3. Ein Antrag auf vorbeugende Unterlassung der Verbreitung bestimmter Filmaufnahmen, der die konkrete Verletzungsform (hier: Beitrag im Rahmen eines datummäßig angegebenen TV-Politmagazins) nicht bezeichnet, ist unzulässig.
Der Fall
Eine Schlachthofbetreiberin ging im November 2020 mit einem beim Landgericht Leipzig gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die noch am selben Tag geplante Ausstrahlung eines Berichts in einer Fernsehsendung vor, in dem kritisch über die Zustände in ihrem Schlachthofbetrieb berichtet und Bildaufnahmen aus dem Innenbereich des Schlachthofs gezeigt werden sollten. Das auf Unterlassung in Anspruch genommene Presseunternehmen wehrte sich unter anderem mit dem Argument, dass der Bericht "redaktionell noch nicht abgenommen" sei.
Das Landgericht Leipzig wies den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurück. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Schlachthofbetreiberin.
Begründung
Die Antragstellerin hat jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass diese im Antragszeitpunkt unmittelbar bevorstehende Berichterstattung eine rechtswidrige Verletzung ihres Unternehmerpersönlichkeitsrechts oder ihres Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellte. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH, Urteil vom 30. September 2014 – VI ZR 490/12 –; vom 29. April 2014 - VI ZR 137/13; vom 17. Dezember 2013 - VI ZR 211/12)....
Angesichts dessen sprach im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses nichts dafür, dass die der Antragsgegnerin vorliegenden Bildaufnahmen für sich genommen oder im Zusammenhang mit der angekündigten Wortberichterstattung einen rechtswidrigen Eingriff darstellen würden, der in der Gesamtabwägung mit dem Unternehmerpersönlichkeitsrecht der Antragstellerin und ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu einem Unterlassungsanspruch hätte führen können.
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