Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss vom 24. Januar 2021, Az. 10 CS 21.249.

Vorbemerkung von uns.

Die so genannte Querdenker-Bewegung plante, in München zu demonstrieren und berief sich incidenter vor allem auch auf ein für sie günstiges neues Urteil des Amtsgerichts Weimar vom 11.1.2021, Az. 6 OWi - 523 Js 202518/20. Dieses Urteil betraf eine andere Demonstration. Das AG Weimar hatte in ihm - so definieren wir kurz richterlichen Dezisionismus - nach eigenem Ergebniswunsch  entschieden, statt mit den Mitteln juristisch-logischer Auslegung und Analyse. Das AG Weimar hatte den Ausspruch „Ach der Richter ist so frei” gehörig missverstanden. Der BayVGH hat nun in seinem (Münchener) Verfahren klar dargelegt, dass das AG Weimar - noch freundlich ausgedrückt, „eine methodisch höchst fragwürdige Einzelentscheidung” gefällt hat. Den Ausdruck „richterlicher Dezisionismus” gebraucht der BayVGH nicht. Er entlarvt jedoch anschaulich, wie ein Gericht das von ihm offenbar gewünschte Ergebnis pflichtwidrig entgegen juristisch-logischer Auslegung und Analyse vertreten hat.

Der BayVGH hat insbesondere entlarvend zum richterlichen Dezisionismus ausgeführt (Hervorhebungen von uns):

„Das Urteil des Amtsgerichts Weimar 11.01.2021, Az. 6 OWi - 523 Js 202518/20, auf das sich der Antragsteller bezieht, um weiter zu begründen, dass eine "Epidemische Lage von nationaler Tragweite" nicht vorliege, ändert hieran ebenfalls nichts. Abgesehen davon, dass das Urteil nicht rechtskräftig ist und Rechtsmittel insofern schon angekündigt sind (Link), hält es der Senat für eine methodisch höchst fragwürdige Einzelentscheidung, die hinsichtlich der Gefahren der Corona-Pandemie im Widerspruch zur (vom Amtsgericht nicht ansatzweise berücksichtigten) ganz überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Gerichte steht (vgl. statt aller aus dem Zeitraum April/Mai 2020 BVerfG, B.v. 9.4.2020 – 1 BvQ 29/20 – juris; HessVGH, B.v. 1.4.2020 – 2 B 925/20 – juris; BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 20 NE 20.735 – juris; OVG LSA, B.v. 30.4.2020 – 3 R 69/20 – juris; ThürOVG, B.v. 7.5.2020 – 3 EN 311/20 – juris; OVG Bremen, U.v. 12.5.2020 – 1 B 140/20 – juris). Wenn das Amtsgericht Weimar meint, dass "am 18.04.2020, dem Tag des Erlasses der 3. ThürSARS-CoV-2-EindmaßnVO" keine epidemische Lage nationaler Tragweite vorgelegen habe, setzt es seine eigene Auffassung an die Stelle der Einschätzung des Bundestages und des Thüringer Verordnungsgebers, ohne sich auch nur ansatzweise mit den wissenschaftlichen und tatsächlichen Grundlagen auseinanderzusetzen, die zu deren Einschätzung geführt haben und maßt sich gleichzeitig eine Sachkunde zu infektiologischen und epidemiologischen Sachverhalten an, die ihm angesichts der hochkomplexen Situtation ersichtlich nicht zukommt (vgl. zu den Grenzen einer Beurteilung komplexer Sachverhalte durch den Richter ohne Hinzuziehung von Sachverständigen etwa BGH, B.v. 9.4.2019 – VI ZR 377/17 – juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 10.11.1983 – 3 C 56/82 – BVerwGE 68, 177 – juris Rn. 30 jeweils m.w.N.). Das Amtsgericht führt einzelne von ihm für maßgeblich gehaltene Kriterien und Belege an und blendet dabei gegenteilige Hinweise und Quellen systematisch aus. So ist die von ihm zentral herangezogene "Metastudie des Medizinwissenschaftlers und Statistikers John Ioannidis" zur Infentionssterblichkeitsrate (IFR) bestenfalls umstritten, spätere Studien (die der Senat noch während des vorliegenden Eilverfahrens auffinden konnte) gehen von einer deutlich höheren IFR insbesondere bei älteren Menschen aus (vgl. etwa Levin et al., Assessing the Age Specificity of Infection Fatality Rates for COVID-19: Systematic Review, Meta-Analysis, and Public Policy Implications vom 8. Dezember 2020, abrufbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s10654-020-00698-1). Im Übrigen vermengt das Amtsgericht die im Gefahrabwehrrecht maßgebliche ex-ante-Betrachtung (stRspr, vgl. etwa BayVGH, U.v. 22.5.2017 – 10 B 17.83 – juris Rn. 25 m.w.N.) mit Elementen einer ex-post-Betrachtug und stellt vielfach keine Überlegungen zu Kausalitäteten bzw. Koinzidenzien ab. Die naheliegende Annahme etwa, dass gerade die vom Amtsgericht als unverhältnismäßig angesehenen Schutzmaßnahmen im Frühjahr 2020 dazu geführten haben könnten, dass es im ersten Halbjahr 2020 zu einer vergleichsweise niederigen Übersterblichkeit und zu einer vergleichsweise geringen Auslastung der Intensivbettenkapazitäten kam, spart das Amtsgericht soweit ersichtlich vollkommen aus.

Anmerkung, die Vorgeschichte - wie sie das Urteil schildert.

Der Antragsteller hatte am 19. Januar 2021 eine Versammlung mit ca. 1.000 Teilnehmern angemeldet. Sie sollte beginnend um 18:00 Uhr vom Odeonsplatz in München zweimal über den Altstadtring ziehen und gegen 20:00 Uhr in eine zweieinhalbstündige stationäre Kundgebung unmittelbar vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof münden. Auf der Versammlung sollten Unterschriftenlisten ausgelegt werden, um 500 Unterschriften für eine Anklage beim Internationalen Strafgerichtshof sowie für die Abberufung des Bayerischen Landtags zu sammeln.
Mit auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG, § 7 Abs. 1 der 11. BayIfSMV gestütztem Bescheid vom 21. Januar 2021 hat die Antragsgegnerin die Anzeige bestätigt, zugleich aber den Aufzug (sich fortbewegende Versammlung) untersagt (Nr. 1.), die stationäre Kundgebung auf den Streckenabschnitt der Ludwigstraße zwischen dem Oskar-von-Miller- Ring/Von-der-Tann-Str. und der Theresienstraße verlegt (Nr. 2.), die Teilnehmerzahl auf 200 beschränkt (Nr. 3.) und die Versammlungsdauer auf den Zeitraum von 17:45 bis 20:00 Uhr (ohne Auf- und Abbauzeit) verkürzt (Nr. 4.). Zur Begründung des Verbots des Aufzugs, der Beschränkung der Teilnehmerzahl und der Verkürzung der Versammlungsdauer wurde ausgeführt, die Versammlung sei nur in dieser Form infektionsschutzrechtlich vertretbar. Erfahrungen mit dem Antragsteller und Versammlungen der "Querdenken"-Bewegung in der Vergangenheit zeigten, dass mit massiven Verstößen gegen Abstands- und Maskenpflichten durch die Teilnehmer zu rechnen sei. Die Erfahrung zeige auch, dass der Wille der Teilnehmer, sich an Abstands- und Maskenpflichten zu halten, mit der Dauer der Versammlung abnehme.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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