Kammergericht Berlin, Urteil vom 17.09.2020, - 8 U 1006/20 -Leitsatz: 

Lärm und Erschütterungen von einer benachbarten Baustelle können im Hinblick auf den mietvertraglichen vereinbarten Nutzungszweck einen Mangel der Mietsache begründen, ohne dass es auf Abwehr- oder Entschädigungsansprüche des Vermieters gegen den Bauherren nach § 906 BGB ankommt (Abgrenzung zum Urteil des BGH vom 29.04.2020 - VIII ZR 31/18). Das Urteil vermittelt eingehend Erkenntnisse zu Gewerberäumen und Wohnungen, auch Eigentumswohnungen.

Aus der Begründung

Erhebliche Nutzungsbeeinträchtigungen durch Lärm können nach der Rechtsprechung des BGH ohne weiteres einen Mangel einer gemieteten Wohnung darstellen (vgl. Urteil vom 16.07.2003 – VIII ZR 274/02; Urteil vom 06.10.2004 – VIII ZR 355/03; Urteil vom 17.06.2009 - VIII ZR 131/08; Urteil vom 23.09.2009 – VIII ZR 399/08; Urteil vom 17.02.2010 - VIII ZR 104/09; Urteil vom 29.02.2012 – VIII ZR 155/11; Urteil vom 20.06.2012 – VIII ZR 268/11; Urteil vom 05.06.2013 – VIII ZR 287/12; Urteil vom 21.02.2017 – VIII ZR 1/16; Urteil vom 22.08.2017 – VIII ZR 226/16). Gleiches gilt nach der Rechtsprechung des BGH für Gewerberäume (vgl. Urteil vom 23.04.2008 – XII ZR 62/06) und Ferienunterkünfte (vgl. Urteil vom 19.07.2016 – X ZR 123/15).

Zwar betreffen die vorstehend zitierten Urteile des VIII. Zivilsenats jeweils Lärmbeeinträchtigungen aus dem Gebäude, in dem die gemietete Wohnung liegt. Einem Mangel im Sinne von § 536 BGB steht aber nicht nach Treu und Glauben entgegen, dass es sich um Umwelteinwirkungen handelt, die nicht vom Vermieter verursacht worden sind. Gebrauchsbeschränkungen aufgrund von Beschaffenheit oder Lage des Mietobjekts fallen in seinen Risikobereich (vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1988 – VIII ZR 232/87 – ; BGH, Urteil vom 24.10.2007 – XII ZR 24/06). Eine Mietminderung setzt kein Verschulden auf Seiten des Vermieters voraus, sondern der Mieter kann selbst dann mindern, wenn der Vermieter nicht über die Möglichkeit zur Beseitigung des Mangels verfügt (BGH, Urteil vom 23.04.2008 – XII ZR 62/06 –).

 Es entspricht der Verkehrsanschauung, dass sich eine erhebliche Lärmbelastung gemieteter Räume tendenziell mietsenkend auswirkt. ...Dies gilt auch für Gewerberäume, wenn die Immissionen – wie hier - für die vertraglich vorgesehene Nutzung relevant sind. Den Mitgliedern des erkennenden Senats ist aus der Befassung mit Gewerberaummietsachen über viele Jahre und insbesondere aus Sachverständigengutachten bekannt, dass die Lage eines Objekts ganz wesentliche Bedeutung für die Höhe der marktüblichen Miete hat.


Hier ist von Immissionen durch die Baustelle, insbesondere Lärm und auch Erschütterungen auszugehen, die deutlich über das in einer Nebenstraße der Berliner City übliche Maß hinausgehen. Als entscheidend sieht der erkennende Senat an, dass diese Einwirkungen der im Mietvertrag vereinbarten Nutzung als „Thai-Massagesalon“ sehr abträglich sind, insbesondere einem Entspannungseffekt der Massagebehandlungen. Die vertragsgemäße Nutzung ist insoweit schwerer betroffen, als es bei den meisten Einzelhandelsgeschäften der Fall wäre, und mindestens vergleichbar wie bei einer Wohn- oder Büronutzung. Die Tauglichkeit der gemieteten Räume zum vertragsgemäßen Gebrauch ist „unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben nach der Verkehrsanschauungdeutlich gemindert.


Im Übrigen hält es der erkennende Senat für bedenklich, dass der VIII. Zivilsenat (und ihm folgend das LG München im Urteil vom 14.01.2016 - 31 S 20961/14 - und das LG Berlin im Urteil vom 14.06.2017 - 65 S 90/17) im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung einen Mangel der Mietsache aufgrund nachträglich erhöhter Geräuschimmissionen durch einen Dritten grundsätzlich verneint, wenn der Vermieter sie gemäß § 906 BGB ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeit als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss (anderer Auffassung als der VIII Zivilsenat: ....).

§ 906 BGB ist eine sachenrechtliche Vorschrift, die auf das Mietverhältnis der Parteien zweifelsfrei nicht anwendbar ist. Sie soll bei der Nutzung eines Grundstücks im Verhältnis zu benachbarten Grundstücken auftretende Konflikte in einen vernünftigen Ausgleich bringen und begründet zu diesem Zweck unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Duldung von Immissionen (BGH, Urteil vom 29.04.2020 – VIII ZR 31/18 – Rn. 68). ...

Der erkennende Senat sieht sich mit seinen Bedenken dagegen, ein Minderungsrecht des Mieters von einem Abwehr- oder Entschädigungsanspruch des Vermieters gegen den Nachbarn nach § 906 BGB abhängig zu machen, im Einklang mit dem Urteil des BGH vom 23.04.2008 – XII ZR 62/06 –, in dem der XII. Zivilsenat ausgeführt hat (Rn. 20, 22): ....

„Ein vollständiger Ausschluss der Minderung durch formularvertragliche Regelung verletzt deshalb das zu den wesentlichen Grundgedanken des Schuldrechts gehörende Prinzip der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung. Das gilt auch, soweit - wie im vorliegenden Fall - der Minderungsausschluss allein Mängel betrifft, die der Vermieter nicht zu vertreten hat....
.......

Bei einem Bauvorhaben in unmittelbarer Nachbarschaft sind keine überzogenen Anforderungen an den Vortrag zur Begründung einer Mietminderung zu stellen. Lärmprotokolle und Vortrag zu konkreten Lärmquellen sind nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 21.02.2017 – VIII ZR 1/16 – Rn. 11 f.). Ein Mieter muss nicht darlegen, ...

Anmerkung

Das Urteil ist noch ausführlicher gehalten. In der hier gekürzten, aber immer noch ausführlichen Fassung haben wir durch Hervorhebungen versucht, einen Überblick zu geben. Wir wissen aus vielen Anfragen, Gesprächen, Beratungen und eigener Erfahrung, dass das „Thema Lärm” für Viele notgedrungen wichtig ist und nervenaufreibend sein kann. Nebenbei ist das Urteil interessant, weil es mehrfach ausdrücklich auf die Verkehrsanschauung abstellt. Vgl. dazu unsere Hinweise zum „Verkehrsauffassungs-Recht” als neues Geschäftsfeld. Der Begriff wurde von uns eingeführt, weil es sich um ein großes Rechtsgebiet handelt, das als Querschnittsmaterie einer eigenen systematischen Bearbeitung bedarf. 



Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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