Bundesgerichtshof Urteil vom 22.9.2020, Az. VI ZR 476/19. Heute, 3.11.2020, bekannt gegeben.

Während die bislang spektakulären Entscheidungen zum „Recht auf Vergessen” die Suchmaschinen betroffen haben (vgl. bitte unter diesem Schlagwort in der Suchfunktion), ist nun zum gleichen Thema ein Urteil ergangen, das insbesondere unmittelbar die Verlage und weitere Inhalteanbieter interessieren muss.

Der Fall, wie ihn der BGH schildert

Der Kläger wurde im Jahr 1982 rechtskräftig wegen Mordes und versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, im Jahr 1981 an Bord der Yacht "A.", die sich bei einer Atlantiküberquerung auf hoher See befand, zwei Menschen erschossen und einen dritten schwer verletzt zu haben. Im Jahr 2002 wurde er aus der Haft entlassen.

Über den Fall veröffentlichte das Magazin DER SPIEGEL in den Jahren
1982 und 1983 unter Auseinandersetzung mit der Person des namentlich genannten Klägers drei Artikel in seiner gedruckten Ausgabe. Seit 1999 stellte zunächst die Rechtsvorgängerin der Beklagten und stellt nunmehr die Beklagte die Berichte in einem Onlinearchiv kostenlos und ohne Zugangsbarrieren zum Abruf bereit. Gibt man den Namen des Klägers in
einem gängigen Internetsuchportal ein, werden die Artikel unter den ersten Treffern angezeigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Haftung des Inhalteanbieters ist nicht subsidiär gegenüber der Inanspruchnahme des Suchmaschinenbetreibers. Im Gegenteil kann in einer Konstellation wie der vorliegenden über den Antrag eines Betroffenen auf Unterlassung des Bereitstellens von Suchnachweisen gegenüber einem Suchmaschinenverantwortlichen nicht ohne Berücksichtigung der Frage entschieden werden,
ob und wieweit der Inhalteanbieter gegenüber den Betroffenen zur Verbreitung der Information berechtigt ist (BVerfG, Senatsurteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18). Da bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Verbreitung eines Berichts durch die Beklagte dessen Wirkung für den Kläger im Internet in der Abwägung mit zu berücksichtigen ist, muss die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verbreitung auch die Entscheidung gegenüber den Suchmaschinenverantwortlichen anleiten (Senatsurteil vom 27. Juli 2020 - VI ZR 405/18).

Anmerkung

Das Urteil legt umfassend Umstände dar, welche bei einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind. Wer sich mit einem Fall zum Recht auf Vergessen gegen einen Inhalteanbieter zu befassen hat, wird mit Hilfe des Urteils tiefschürfend abwägen und Neuland betreten müssen. Publikationen sind zu erwarten. Der BGH schließt seine Begründung mit der Feststellung:

„Offen geblieben ist aber, ob und auf welchem Wege es der Beklagten möglich und zumutbar ist, lediglich die Auffindbarkeit der
Artikel über Internet-Suchmaschinen zu unterbinden oder einzuschränken.”

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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