BVerfG Beschluss vom 19.8.2020, Az. 1 BvR 2249, bekannt gegeben heute 29.10.2020.
Der Beschwerdeführer hatte eine Sozialarbeiterin als „Trulla” bezeichnet und wurde vom Amtsgericht wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Landgericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil mit einer schablonenhaften Begründung. Es entsteht der Verdacht, dass Rechtsanwälte darauf achten müssen, ob Berufungsgerichte mit derartigen Begründungen Urteile durchwinken. Das Bundesverfassungsgericht hat sich jedenfalls offenbar veranlasst gesehen, ein Exempel zu statuieren und lehrbuchartig darzustellen, wie Berufungsurteile zur Meinungsfreiheit und zur Schmähkritik abzufassen sind.
Das amtsgerichtliche Urteil: Die Bezeichnung als „Trulla“ habe grundsätzlich ehrverletzenden Charakter. Das Wort „Trulla“ werde im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet, um abwertend über weibliche Personen zu sprechen, überwiegend in Assoziation mit einer unterstellten Unordentlichkeit der adressierten Person. Dass der Begriff auch neckisch gemeint und ohne beleidigenden Charakter verwendet werden könne, sei zwar nicht unmöglich, passe jedoch nicht in den hier zu beachtenden situativen Kontext.
Das Landgericht erklärte die Berufung sehr einfach für offensichtlich unbegründet, da für jeden Sachkundigen anhand der Urteilsgründe und der Berufungsbegründung sowie des Protokolls der Hauptverhandlung erster Instanz ohne längere Prüfung erkennbar sei, dass das Urteil sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden sei und keine Verfahrensfehler vorlägen, die die Revision begründen würden.
Der BGH hat das Urteil des Amtsgerichts sowie den Beschluss des Landgerichts aufgehoben, weil sie den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzen; und er hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil des Amtsgerichts Schwalmstadt vom 5. Juni 2019 - 41 Ds - 2 Js 9273/16 - und der Beschluss des Landgerichts Marburg vom 2. September 2019 - 8 Ns - 2 Js 9273/16 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Schwalmstadt zurückverwiesen.
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