Beschluss vom 27. Mai 2020 - 1 BvR 1873/13, 1 BvR 2618/13 (Bestandsdatenauskunft II), Bekanntmachung soeben am 17.7.2020. Hervorhebungen durch uns.
§ 113 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und mehrere Fachgesetze des Bundes sind verfassungswidrig, so der Erste Senat. Die manuelle Bestandsdatenauskunft wird damit stark eingeschränkt. Sie verletzen, so wägt das BVerfG ab, die Inhaber von Telefon- und Internetanschlüssen in ihren Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG).
Die manuelle Bestandsdatenauskunft ermöglicht es Sicherheitsbehörden, von Telekommunikationsunternehmen Auskunft insbesondere über den Anschlussinhaber eines Telefonanschlusses oder einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen IP-Adresse zu erlangen. Mitgeteilt werden personenbezogene Daten der Kunden, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Durchführung von Verträgen stehen (sogenannte Bestandsdaten). Nicht mitgeteilt werden Daten, die sich auf die Nutzung von Telekommunikationsdiensten (sogenannte Verkehrsdaten) oder den Inhalt von Kommunikationsvorgängen beziehen.
Die Abwägung laut BVerfG: Die Erteilung einer Auskunft über Bestandsdaten ist grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber muss aber - so der Senat - nach dem Bild einer Doppeltür sowohl für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter als auch für den Abruf dieser Daten durch die Behörden jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen schaffen. Übermittlungs- und Abrufregelungen müssen die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, indem sie insbesondere tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz vorsehen. Der Senat nimmt an, dass die allgemeinen Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf von Bestandsdaten trotz ihres gemäßigten Eingriffsgewichts für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts bedürfen. Findet eine Zuordnung dynamischer IP-Adressen statt, muss diese im Hinblick auf ihr erhöhtes Eingriffsgewicht darüber hinaus auch dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von zumindest hervorgehobenem Gewicht dienen. Bleiben die Eingriffsschwellen im Bereich der Gefahrenabwehr oder der nachrichtendienstlichen Tätigkeit hinter dem Erfordernis einer konkreten Gefahr zurück, müssen im Gegenzug erhöhte Anforderungen an das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter vorgesehen werden. Diese Voraussetzungen wurden von den verfassungswidrig erklärten Vorschriften weitgehend nicht erfüllt. Im Übrigen hat der Senat wiederholend festgestellt, dass eine Auskunft über Zugangsdaten nur dann erteilt werden darf, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Nutzung gegeben sind.
Anmerkung
Die vom BVerfG beanstandeten Normen müssen nun bis spätestens Ende 2021 überarbeitet werden. Solange bleiben die beanstandeten Regelungen in Kraft. Die Richter des Ersten Senats schreiben jedoch vor, wie oft, was bis dahin zu geschehen hat.
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