Bundesgerichtshof Beschluss vom 19.5.2020, Az. VI ZR 171/19. Bekannt gegeben gestern, 14.7.2020.  Hervorhebung von uns.

Wenn eine Partei in der ersten Instanz einen Sachverhalt darlegt und dieses Vorbringen nicht zurückgewiesen wird, muss sie es in der zweiten Instanz nicht ausdrücklich noch einmal tun. Vielmehr wird das Geschilderte automatisch Prozessstoff der Berufungsinstanz. 

Leitsätze

a.) Im ersten Rechtszug nicht zurückgewiesenes Vorbringen wird ohne Weiteres Prozessstoff der zweiten Instanz, eines erneuten Vorbringens bedarf es insoweit grundsätzlich nicht (vgl. Senatsurteil vom 24. September 2019 -VI ZR 517/18).  

b.)Bleibt ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung der Präklusi-onsnormen zu Unrecht zurückgewiesen hat, ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt (vgl. Senatsurteil vom 24. September 2019 -VI ZR 517/18).

Anmerkung

Der vorinstanzliche Beschluss schmeichelt der Rechtsprechung nicht; schon gar nicht, wenn man weiß, wie geradezu bravoureus sonst auch Berufungsgerichte entscheiden. Wir haben an dieser Stelle schon mehrfach auf brillante Urteile der Oberlandesgerichte aufmerksam gemacht.  Der BGH musste unbedingt korrigieren. Die Voraussetzung „offenkundig fehlerhafte Anwendung" (Leitsatz b.) meint der BGH nicht nur nebenbei; jedenfalls im Hinblick auf den vom BGH geschilderten Sachverhalt, nämlich:

Der Beklagte zu 2 hat in erster Instanz, wie sich aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ergibt, seine Täterschaft bestritten und vorgetragen, er sei zur Tatzeit nicht mehr auf dem Volksfest gewesen (Anmerkung: sic!). Die Zurückweisung des vom Beklagten zu 2 bereits in erster Instanz gehaltenen Tatsachenvortrags als verspätet findet in §§530, 521 Abs.2, §296 Abs.1 ZPO keine Stütze (Anmerkung: sic!). Der Beklagte zu 2 musste entgegen der Annahme des Berufungsgerichts diesen Vortrag innerhalb der ihm gesetzten Frist zur Berufungserwiderung nicht wiederholen oder ausdrücklich hierauf Bezug nehmen. Im ersten Rechtszug nicht zurückgewiesenes Vorbringen wird ohne Weiteres Prozessstoff der zweiten Instanz, eines erneuten Vorbringens bedarf es insoweit grundsätzlich nicht (vgl. Senatsurteil vom 24.September 2019 -VIZR 517/18; BGH, Urteile vom 12.März 2004 -VZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278).

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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