Urteil vom 30. April 2020, Az. I ZR 115/16, herausgegeben vom BGH heute am 22.06.2020. Hervorhebung der wohl wichtigsten Aussagen von uns.
Leitsätze des Gerichts
a) Die Übernahme eines im Wege des elektronischen Kopierens (Sampling) entnommenen Audiofragments in ein neues Werk stellt eine Vervielfältigung im Sinne des Art. 2 Buchst.c der Richtlinie 2001/29/EG und des nach dieser Vorschrift richtlinienkonform auszulegenden § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG dar, wenn das Audiofragment nach dem Hörverständnis eines durchschnittlichen Musikhörers in wiedererkennbarer Form übernommen wird.
b) Das Vervielfältigungsrecht des Tonträgerherstellers gemäß § 85 Abs. 1 Satz1 Fall 1 UrhG kann durch das Recht zur freien Benutzung nach dem mit Blick auf die Richtlinie 2001/29/EG richtlinienkonform auszulegenden §24 Abs. 1 UrhG nur eingeschränkt werden, sofern die Voraussetzungen einer der in Art.5 dieser Richtlinie in Bezug auf das Recht des Tonträgerherstellers aus Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen oder Beschränkungen erfüllt sind.
c) Der deutsche Gesetzgeber hat von der in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie2001/29/EG vorgesehenen Möglichkeit, eine eigenständige Schrankenregelung für die Nutzung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zum Zwecke von Pastiches vorzusehen, keinen Gebrauch gemacht.
d) Der in den Richtlinien 2001/29/EG und 2006/115/EG vorgesehene Inhalt der Verwertungsrechte determiniert auch die im Falle ihrer Verletzung zu untersagenden Handlungsmodalitäten. Ist allein das in Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG und § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 UrhG vorgesehene Vervielfältigungsrecht verletzt, das dem Inhaber die Handlungsmodalitäten der unmittelbaren oder mittelbaren, vorübergehenden oder dauerhaften, auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise erfolgenden Vervielfältigung vorbehält, so darf dieser Schutz nicht über eine Anwendung des § 96 Abs. 1 UrhG in den Bereich von Handlungsmodalitäten ausgedehnt werden, die anderen Verwertungsrechten (im Streitfall: dem Verbreitungsrecht gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG) vorbehalten sind.
e) Hebt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung über eine Urteilsverfassungsbeschwerde neben Revisionsurteilen auch ein vorangegangenes Berufungsurteil auf, ohne die aufhebende Wirkung dieses Ausspruchs zu beschränken, erstreckt sich die Aufhebung auch auf die in diesem Berufungsurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, auf die deshalb im wiedereröffneten Revisionsverfahren nicht zurückgegriffen werden kann.
Anmerkung
Entsprechend der Rechtsprechung zum europäischen Verbraucherleitbild wird in diesem Urteil nun auf „das Hörverständnis eines durchschnittlichen Hörers” abgestellt. Wir sind insbesondere in unseren Kommentierungen zu aktuellen Gerichtsentscheidungen vielfach darauf eingegangen, dass die Probleme zu diesem Leitbild damit beginnen, dass allein schon die Auffassung des „Drchschnittsverbrauchers” dem Entscheider oft nicht hinreichend sicher bekannt sein kann. Beim „Hörverständnis eines durchschnittlichen Hörers” kann der Sachverhalt genau so wenig ohne repräsentative Ermittlung vom Entscheider hinreichend zuverlässig festgestellt werden. Sowohl der EuGH als auch der BGH haben bereits anerkannt, dass repräsentative Umfragen als Beweismittel anerkannt werden. Siehe zu Einzelheiten einschließlich Literaturhinweisen bitte in der Suchmaschine unserer Homepage bspw. unter dem Suchwort „Durchschnitt”. Zu unserem Arbeitsgebiet „Verkehrsauffassungsrecht” werden wir die Themen noch umfassend darstellen; - weitergehender als in den von uns verfassten Schriften „Die Entdeckung der pluralistischen Wirklichkeit” und „Rechtstatsachenermittlung durch Befragen” (auffindbar z.B. bei Google unter diesen Suchwörtern).
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