Bundesgerichtshof Urteil vom 20.2.2020, Az. I ZR 5/19. Bekannt gegeben am 11.3.2020.
Leitsatz: Die rechtliche Würdigung des durch den Vortrag der Klagepartei zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplexes ist Sache des Gerichts. Für die Frage des Streitgegenstands ist es daher unerheblich, ob die Klagepartei ihre Klage auf einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat; entscheidend ist vielmehr, dass sie einen Lebenssachverhalt (Klagegrund) vorgetragen hat, der sich rechtlich unter diesen Gesichtspunkt einordnen lässt.
In den Entscheidungsgründen führt der BGH aus (Hervorhebungen von uns):
Zu dem Lebenssachverhalt, der die Grundlage der Streitgegenstandsbestimmung bildet, rechnen dabei alle Tatsachen, die bei einer vom Standpunkt der Parteien ausgehenden natürlichen Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag der Klagepartei zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören. Der Streitgegenstand wird durch den gesamten historischen Lebensvorgang bestimmt, auf den sich das Rechtsschutzbegehren der Klagepartei bezieht, dies gilt unabhängig davon, ob einzelne Tatsachen dieses Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht, und auch unabhängig davon, ob die Parteien die nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs kannten und hätten vortragen können (vgl. BGHZ 194, 314 Rn.19 -Biomineralwasser; BGH, GRUR 2019, 746 Rn.33 -EnergieeffizienzklasseIII, jeweils mwN). Diesen Lebenssachverhalt kann das Gericht unabhängig davon unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten prüfen, ob die Klagepartei ihre Klage auf diese Gesichtspunkte gestützt hat oder nicht. Denn die rechtliche Würdigung des durch den Vortrag der Klagepartei zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplexes ist Sache des Gerichts (vgl. für den Fall, dass sich die Klage gegen eine konkrete Verletzungsform oder eine konkrete Werbemaßnahme richtet,BGH, Urteil vom 30.Juni 2011 -IZR157/10, GRUR 2012, 184 Rn.15 =WRP 2012, 194 -Branchenbuch Berg; BGHZ 194, 314 Rn.24 -Biomineralwasser; BGH, Urteil vom 11.Oktober 2017 -IZR78/16, GRUR 2018, 431 Rn.13 =WRP 2018, 413 -Tiegelgröße; Urteil vom 26. April 2018 -IZR121/17, GRUR 2018, 1271 Rn.13 =WRP 2019, 61 -Applikationsarzneimittel).
Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin bezogen auf den Klageantrag zuI.1 zwei Streitgegenstände in den Rechtsstreit eingeführt, im Verhältnis zu denen ein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung keinen selbständigen eigenen Streitgegenstand bildet. Die Klägerin hat zum einen den Lebenssachverhalt in den Rechtsstreit eingeführt, nach dem der Bonus auf dem bei der Krankenkasse vorzulegenden Beleg nicht vermerkt wird. Sie hat zum anderen aber auch den Fall zur gerichtlichen Überprüfung gestellt, in der eine entsprechende Offenlegung durch die Beklagte erfolgt. Im Verhältnis zu diesen Sachverhaltsvarianten liegt in einem Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung gemäß §78 Abs.2 und3 AMG kein weiterer Streitgegenstand. Ein solcher Verstoß kommt auch im Fall privat Krankenversicherter bei verschreibungspflichtigen Medikamenten unmittelbar durch das Werben mit einem über einen bestimmten Geldbetrag lautenden Gutschein in Betracht, dessen Einlösung keine wesentlichen Hinderungsgründe entgegenstehen. Für die Frage des Streitgegenstands ist es unerheblich, dass die Klägerin ihre Klage nicht auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat. Entscheidend istvielmehr, dass die Klägerin einen Lebenssachverhalt vorgetragen hat, der sich rechtlich auch unter den Rechtsbruchtatbestand des §3a UWG einordnen lässt (vgl. BGH, Ver-säumnisurteil vom 8.November 2007 -IZR121/06, juris Rn.12).
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