Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 19. Dezember 2019 Az. V ZR 85/19 die Nichtzulassungsbeschwerde des klagenden Nachbarn gegen ein Urteil des OLG München vom 10. April 2019 - 15 U 138/18 - zurückgewiesen. Begründung: Die Rechtssache hat weder rechtlich grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGH als Revisionsgericht. Deshalb ist der BGH gar nicht weiter auf die Rechtslage eingegangen, obwohl der Rechtsstreit bundesweit, jedenfalls in Bayern für Aufsehen gesorgt hat. Es interessiert  deshalb weiterhin, was und wie das OLG München als Vorinstanz geurteilt hat. Aber selbst das OLG München hat nicht wirklich zum Thema geurteilt. Wie das? Dem OLG waren die Lärmangaben zu pauschal. Der Jurist fragt sich, wie denn die Gerichte die richterliche Hinweispflicht verstehen. War ihnen das allgemein diskutierte Thema zu läppisch oder zu unangenehm? 

Die Geschichte

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn in Bayern, im oberbayrischen Holzkirchen.

Zunächst schien der Streit mit einem Vergleich geklärt. Der Ehemann hatte bereits im September 2015 mit der Halterin der Kühe vor dem Amtsgericht (AG) Miesbach vereinbart, dass die Kühe der nördlichen Grundstückshälfte fernbleiben müssen und nur noch auf dem entfernteren südlichen Teil grasen dürfen. Daran hielt sich die beklagte Bäuerin. Den Eheleuten war es aber weiterhin zu laut.

Deswegen legte der Nachbar Berufung ein – und verlor vor dem OLG München erneut. Begründung des OLG München: Mit dem Vergleich sei eine zeitlich unbegrenzte und auf das ganze Gebiet bezogene Nutzungsregelung getroffen worden, so dass dem Ehemann für das nördliche Grundstück eine vertragliche Unterlassungspflicht zustehe, die er vollstrecken könne. Für eine nochmalige gerichtliche Rechtsverfolgung für den entfernten südlicheren Teil fehle deshalb ein Rechtsschutzinteresse.

Hinsichtlich der südlichen Grundstückshälfte könne der Mann durch den geschlossenen Vergleich aber ebenfalls keine gesetzlichen Unterlassungsansprüche geltend machen. Schließlich sollte, so das OLG München, die vertragliche Vereinbarung den Nachbarschaftsstreit endgültig lösen.

Der Anwalt der Eheleute hatte in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG München noch argumentiert, dass Messungen am Schlafzimmerfenster des Paares eine Lautstärke von mehr als 70 Dezibel ergeben hätten. Zum Beweis spielte er im Gericht Aufnahmen des Kuhglockengebimmels ab. Das Gericht kam dennoch zu dem Schluss, dass die Lärmangaben "zu pauschal" seien. Deswegen spreche auch der Grundsatz von Treu und Glauben nicht für die Eheleute.

Anmerkung, § 139 der Zivilprozessordnung bestimmt verhältnismäßig klar, jeder Jurist kennt diese Hinweispflicht:

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

Vielleicht wurde der Anwalt darauf hingewiesen, dass die Lärmpauschalen noch zu allgemein sind und die Beweismittel bis jetzt nicht ausreichen. 

Darüber hinaus fragt sich, ob „Dezibel” das alleinige Kriterium sein kann. Die Auslegung des Gesetzes kann ergeben, dass es auf die Art und Dauer des Kuhglockengeläuts ankommt. Und - Tierfreunde - keiner fragt die Kühe! Zudem: Wussten die Nachbarn beim Einzug, dass Kühe bei ihnen weiden. So beim Vorbeigehen finden wir, dass das Kuhglockenläuten „Heimat” bedeuten kann.

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
zertifizierte Datenschutzbeauftragte (DSB-TÜV)
Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

TELEFON:

+49.89.9280850

E-MAIL:

as@schweizer.eu

Zum Profil