BGH, Beschluss vom 14. November 2019 - IX ZB 18/19.

Eine durch und durch gefährliche Rechtsprechung für alle Wiedereinsetzungsanträge: Bleibt nach den vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumnis auf einem Verschulden der Partei oder einem ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht, ist die Wiedereinsetzung zu versagen. Dies gilt auch bei mehrdeutigen Anweisungen.

Wir heben die für die Praxis wichtigsten Stellen hervor. Diese Rechtsprechung verlangt von dem Gericht, geradezu noch mehr als sonst, rundum nach einem Fehler zu suchen. Das Problem besteht über Wiedereinsetzungsanträge hinaus auch bei bei allen Verboten mit Erlaubnisvorbehalt. Besonders aktuell ist wieder das seit 1978 bestehende Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im Datenschutzrecht und dort die Einwiligungserklärung des Betroffenen.

Dass die Möglichkeit eines Fehlers genügt, hat der BGH so auch bereits in einem Beschluss vom 14. September 2017 - IX ZB 81/16. entschieden, worauf der BGH in seinem neuen Beschluss vom 14. 11. 2019 ausdrücklich hinweist.

In diesem neuen Beschluss legt der BGH für ein Verschulden bei der Versendung fristgebundener Schriftsätze per Telefax dar:
Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, für eine Büroorganisation zur sorgen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin gewährleistet (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - IX ZB 34/10). Beauftragt er eine Angestellte mit der Erledigung ausgehender Post, genügt er dieser Pflicht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann, wenn er die Angestellte anweist, einen Abgleich der auf dem Sendeprotokoll ausgedruckten Faxnummer anhand einer zuverlässigen Quelle vorzunehmen, aus der die Faxnummer des Gerichts hervorgeht, für das die Sendung bestimmt ist. Dadurch sollen nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bei der Ermittlung der Faxnummer und ihrer Übertragung in den Schriftsatz ausgeschlossen werden (st. Rspr.). Zur Vermeidung von Fehlern bei der Ermittlung der Faxnummer kann allerdings auch die Anweisung genügen, die im Sendebericht ausgedruckte Faxnummer mit der schriftlich niedergelegten zu vergleichen, wenn sichergestellt ist, dass diese ihrerseits zuvor aus einer zuverlässigen Quelle ermittelt worden ist. Dies setzt aber voraus, dass zusätzlich die generelle Anweisung besteht, die ermittelte Faxnummer vor der Versendung auf eine Zuordnung zu dem vom Rechtsanwalt bezeichneten Empfangsgericht zu überprüfen. .. . Die Anweisung war ungeeignet, die Verwendung der richtigen Empfangsnummer sicherzustellen, wenn die mit der Erledigung ausgehender Post beauftragte Angestellte - wie hier - die Faxnummer des adressierten Gerichts vor der Versendung selbst zu ermitteln hatte. Sie enthält für diesen Fall keine klaren Vorgaben.
... Hierbei handelt es sich indes um eine mehrdeutige Weisung. Ihr kann nicht mit der gebotenen Deutlichkeit entnommen werden, dass sie auch dann gelten soll, wenn die Angestellte selbst die Faxnummer zu ermitteln hat, um den Schriftsatz per Telefax übermitteln zu können. Die fehlende Konkretisierung, welche Notiz zu prüfen ist, sowie die passive Formulierung ("notiert wurde") lassen den Schluss zu, dass die vorgegebene Überprüfung nur vorzunehmen ist, wenn ein Dritter auf dem zu versendenden Schriftsatz eine Faxnummer vermerkt hat.
Unzureichend ist die Anweisung auch hinsichtlich der gebotenen Überprüfung der im Sendebericht ausgedruckten Faxnummer. Weder ist bestimmt, dass diese Nummer mit einer zuverlässigen Quelle abgeglichen werden muss, noch ist angeordnet, dass die Abgleichung mit einer anderen Quelle nur genügt, wenn sichergestellt ist, dass die dort dokumentierte Nummer zuverlässig ermittelt wurde, und zusätzlich die Zuordnung der Nummer zu dem adressierten Empfangsgericht aktuell überprüft wurde.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die unzureichende Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten des Klägers zumindest mitursächlich für den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung bei dem Berufungsgericht geworden ist. Ausschlaggebend für die Versäumung der Beru-fungsbegründungsfrist war nach dem Vortrag im Wiedereinsetzungsantrag die irrtümliche Übermittlung der Berufungsbegründung durch die Angestellte S. an die Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers seine Angestellte pflichtgemäß zur Ausgangskontrolle bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax angewiesen, wäre der Angestellten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14) dieser Irrtum entweder nicht unterlaufen oder zumindest rechtzeitig aufgefallen. Jedenfalls wäre aber die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden.

Unabhängig vom Inhalt der Anweisung ist ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zudem deshalb nicht ausgeräumt, weil der Kläger nicht vorgetragen hat, dass dieser die Einhaltung der Anweisung zur Ausgangskontrolle bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze wenigstens stichprobenartig in regelmäßigen Abständen kontrolliert hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2018 - IX ZB 4/17).

Andrea Schweizer

Andrea Schweizer

Rechtsanwältin
zertifizierte Datenschutzauditorin (DSA-TÜV)
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Hochschullehrbeauftragte für IT-Recht sowie IT-Compliance (in den Studiengängen Informatik, Wirtschaftsinformatik und BWL)

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