Die ethischen Vorstellungen des Dt. Presserats zur Berichterstattung über Straftaten haben sich geändert, Entscheidung vom 13.9.2019:

„An der Herkunft des Gewalttäters vom Frankfurter Hauptbahnhof bestand ein berechtigtes öffentlichen Interesse. Der Presserat sah keine Verletzung des Diskriminierungsverbots nach Richtlinie 12.1 und wies entsprechende Beschwerden ab. Der ursprünglich aus Eritrea stammende Mann hatte eine Frau und ihren Sohn vor einen einfahrenden Zug gestoßen, das Kind starb. Die Tat von Frankfurt war ein besonders schweres und in ihrer Art und Dimension außerordentliches Verbrechen. Diese Kriterien sprechen laut den vom Presserat herausgegebenen Praxis-Leitsätzen zur Richtlinie 12.1 für die Nennung der Herkunft eines Täters.”
Anmerkungen
1.
Noch im Jahr 2016 hätte der Presserat nach seinen Richtlinien anders entschieden. Damals legte Richtlinie 12.1 fest:
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
2.
Während der Geltung dieser Richtlinie hatte der Presserat in weit mehr als 100 Fällen systematisch darauf abgestellt, dass kein begründbarer Sachbezug besteht; und er hat dementsprechend Beschwerden für begründet erklärt. So hätte er auch in diesem Hauptbahnhof-Fall die Berichterstattung als Richtlinie 12.1 widersprechend beurteilen müssen. Mit der Tat hatte die Herkunft aus Eritrea nichts zu tun. Es fehlte somit der begründbare Sachbezug.
3.
Die Änderung der presse-ethischen Vorstellungen
Für die Zeit ab 22.3.2917 wurden - offenbar unter dem Druck der Verhältnisse - „neue Praxis-Leitsätze” eingeführt. In diesen neuen Praxis Leitsätzen heißt es u.a.:
Ziffer 12 und die zugehörige Richtlinie 12.1 enthalten kein Verbot, die Zugehörigkeit von Straftätern und Verdächtigen zu Minderheiten zu erwähnen. Sie verpflichten die Redaktion jedoch, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst zu entscheiden, ob für die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit ein begründetes öffentliches Interesse vorliegt oder die Gefahr der diskriminierenden Verallgemeinerung überwiegt.
Hinzugefügt wird in diesen neuen Praxis-Leitsätzen:
Für ein begründetes öffentliches Interesse an der Nennung der Zugehörigkeit von Tätern oder Tatverdächtigen zu einer Gruppe oder Minderheit kann unter anderem jedoch sprechen, wenn zumindest einer der folgenden Sachverhalte vorliegt: • Es liegt eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat vor.
4.
Die Redaktionen sind jedoch vielfach bei ihren Kommentaren beim alten Kriterium des begründbaren Sachbezugs geblieben. So äußerte der wohl bekannteste, meinungsfreudigste und an erster Stelle verantwortliche Journalist: „Wir haben uns in der Redaktion die Köpfe heißgeredet. Immer ging es um den Pressekodex mit seinem Kriterium begründbarer Sachbezug”. Ein Blick auf die Homepage des Dt. Presserats hätte genügt, um festzustellen, dass sich die Welt verändert hat. Dabei gehört die sorgfältige Recherche zu den journalistischen Hauptpflichten.
5
Dem Dt. Presserat ist es demnach offenbar nicht gelungen, seine geänderten presse-ethischen Vorstellungen zu einem Alltagsthema wichtigsten Redaktionen zu vermitteln. Hat er es versucht? Wie?