BGH, Beschluss vom 23.1.2018, Az. VII ZB 43/18.

Anmerkung vorab: Es gibt Fälle, bei denen der Eindruck entsteht, dass das Gericht eine Partei unredlich „auflaufen lässt".
Ein Muster bietet ein Beschluss des OLG Jena vom 14.5.2018 - 5 U 773/17. Der BGH hat dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben und das Verfahren zurückverwiesen.
Begründung:
Angesichts der eingehenden, in sich geschlossenen Darstellung des Geschehensablaufs von der Erstellung des Schriftsatzes ... bis zur abendlichen Postaufgabe in der anwaltlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten sowie in der damit übereinstimmenden eidesstattlichen Versicherung der Kanzleimitarbeiterin durfte das Berufungsgericht jedenfalls nicht ohne ausdrücklichen Hinweis von ungenügenden Angaben zu den Umständen der Postaufgabe ausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 XI ZB 34/09 Rn. 11; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - IX ZB 73/10 Rn. 18 ff.).
Anmerkungen
1.
Wir haben über diesen neuen Beschluss des BGH schon am 20.2.2019 an dieser Stelle in anderem Zusammenhang berichtet unter dem Titel „Vertrauen in die Post bestätigt” (Eingang der Post am folgenden Werktag).
2.
Das OLG Jena hatte vorinstanzlich das Wiedereinsetzungsgesuch mit folgender Begründung abgewiesen, ohne der Partei Gelegenheit zu geben, die Lücke zu schließen:
Es ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Berufungsbegründungsschrift tatsächlich am Abend des 21. Februar 2018 - und daher mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf - durch Einwurf in den Postbriefkasten versandt worden ist. Die Darstellung des Antragstellers enthalte zwei Lücken, die mögliche Fehler innerhalb seines Verantwortungsbereichs begründen könnten. Zum einen sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass und wie die Adressierung des Schriftsatzes im Sichtfenster des Briefumschlags überprüft worden sei; vorstellbar sei, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte H. den Schriftsatz so in den Briefumschlag gesteckt habe, dass die Anschrift des Berufungsgerichts im Sichtfenster nicht sichtbar gewesen sei. Zum anderen sei es auch nach der anwaltlichen Versicherung nicht Gegenstand der Wahrnehmung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers gewesen, ob sich in dem in den Briefkasten eingeworfenen DIN A4-Umschlag tatsächlich die Berufungsbegründung befunden habe. Das gelte umso mehr, als der zeitliche Ablauf, wann die Post in den Ausgangskorb gelegt und wann sie vom Prozessbevollmächtigen zwecks Einwurfs in den Briefkasten mitgenommen worden sei, nicht näher dargelegt sei, so dass auch ein Abhandenkommen des Umschlags noch im Bereich der Kanzlei in Betracht komme. Auf diese Mängel seines Vorbringens habe das Berufungsgericht den Beklagten nicht hinweisen müssen, - hatte das Berufungsgericht ausdrücklich in seiner Entscheidung erklärt (nach dem Beschluss des BGH: zu Unrecht).
3.
Der BGH-Beschluss schließt: „Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist der angefochtene Beschluss daher aufzuheben und dem Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten zu entsprechen. Die Berufungsbegründung wurde als versäumte Rechtshandlung innerhalb der insoweit maßgeblichen Frist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) mit dem am 23. März 2018 bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz rechtzeitig nachgeholt. Im Übrigen ist die Sache zur erneuten Entscheidung gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.”