Handelsgericht St. Gallen Entscheid vom 16.11.2017 Az. HG.2015 zu Art. 3 lit. b UWG des schweizerischen UWG (die Rechtslage ist im deutschen und nahezu in allen Ländern identisch).

Der Tatbestand setzt nicht voraus, dass sich jeder Adressat mit durchschnittlicher Erfahrung täuschen oder irreführen lässt, sondern es genügt, wenn nach den allgemeinen Erfahrungen des Lebens anzunehmen ist, dass sich eine nicht unerhebliche Anzahl von Adressaten der Werbung täuschen lässt bzw. einem Irrtum verfällt. Eine Werbeaussage darf zwar unvollständig sein, allerdings trifft den Werbenden eine Aufklärungspflicht in Bezug auf subjektiv wesentliche Angaben, die unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich sind, damit der Durchschnittsabnehmer keinem Irrtum unterliegt. Ein Vergleich der Leistungsdaten von Geräten über einen festen Zeitraum ist irreführend, wenn verschwiegen wird, dass Konkurrenzprodukte sich während dieser Zeitspanne aus technischen Gründen ausschalten (Handelsgericht, 16. November 2017, HG.2015.154/1).
Anmerkungen
1.
Art. 3 lit. b des schweizerischen UWG bestimmt:
1 Unlauter handelt insbesondere, wer: a. .... b. über sich, seine Firma, seine Geschäftsbezeichnung, seine Waren, Werke oder Leistungen, deren Preise, die vorrätige Menge, die Art der Verkaufsveranstaltung oder über seine Geschäftsverhältnisse unrichtige oder irreführende Angaben macht oder in entsprechender Weise Dritte im Wettbewerb begünstigt;
2.
Mehrere Münchener Doktorarbeiten haben - jeweils zu einem anderen Rechtsgebiet - dargelegt, dass niemand wissen kann, wer dieser ganz bestimmte Durchschnittsadressat denn nun ist, und wie er auffasst. Diese Arbeiten gelangen zu dem Schluss, dass richtig ist, was die deutschen Gerichte, insbesondere der BGH, vor Jahrzehnten schon festgestellt haben. Nämlich: Maßgeblich ist, wie ein erheblicher Teil der Adressaten auffasst, und wie hoch dieser Anteil sein muss, richtet sich nach dem Sinn und Zweck der im Einzelfall anzuwendenden Norm. Nur hat der EuGH mit seinem europäischen Verbraucherleitbild keinen Mehrwert, sondern ein unlösbares Rätsel geschaffen. Wer kann wissen, wie im zu entscheidenden Fall „ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher eine Angabe wahrscheinlich versteht”? Am ausführlichsten zu alledem: Schweizer, Die Entdeckung der pluralistischen Wirklichkeit, 3. Aufl., vergr., aber bei Google Books vollständig nachlesbar.
3.
Die Praxis hilft sich mit richterlichem Dezisionismus. Der Richter beantwortet diese Sachverhaltsfrage nach seinen eigenen Vorstellungen, wie wohl der Durchschnittsverbraucher auffasst. Sowohl der EuGH als auch der BGH lassen zum Beweis repräsentative Umfragen als Beweismittel zu. Befragt wird der relevante Verkehrskreis, und der Richter entscheidet auf der Basis der Umfrageergebnisse.