Urteil vom 25.10.2018, Az. 8 AZR 501/14.

Bislang durften die Kirchen vorgeben, welche Stellen so wichtig sind, dass sie für diese Stellen nur religionszugehörige Christen einstellen wollen. Künftig dürfen kirchliche Arbeitgeber bei Stellenausschreibungen und Anstellungen nicht mehr pauschal auf eine Religionszugehörigkeit von Bewerbern pochen. Ein kirchlicher Arbeitgeber darf Stellen nur dann von der Religionszugehörigkeit abhängig machen, wenn die Religion eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft beziehungsweise Einrichtung darstellt. Diese Voraussetzung war im entschiedenen Fall nach Auffassung des Gerichts nicht erfüllt.
Zuvor schon, im April und September 2018, hatte der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Fall eines gekündigten Chefarztes geurteilt, dass die staatlichen Gerichte künftig die Rationalität von Personalentscheidungen der Kirchen kontrollieren dürfen.
Die Vorgeschichte
Die Parteien stritten über die Zahlung einer Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund fehlender Kirchenzugehörigkeit. Geklagt wurde gegen die Diakonie, ein Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Diakonie schrieb im November 2012 eine auf zwei Jahre befristete Stelle eines Referenten/einer Referentin aus. Gegenstand der Tätigkeit sollen schwerpunktmäßig die Erarbeitung des Parallelberichts zum deutschen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention durch Deutschland sowie Stellungnahmen und Fachbeiträge und die projektbezogene Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik, der Öffentlichkeit und Menschrechtsorganisationen sowie die Mitarbeit in Gremien sein. Der Parallelbericht sollte in Beratung mit Menschenrechtsorganisationen und weiteren Interessenträgern erstellt werden. In der Stellenausschreibung heißt es ferner: „Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“
Die konfessionslose Klägerin bewarb sich für diese Stelle. Sie wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Beklagte besetzte die Stelle mit einem evangelischen Bewerber. Die Klägerin hat mit ihrer Klage die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) in Höhe von mindestens 9.788,65 Euro verlangt. Nachdem das ArbG Berlin der Klägerin eine Entschädigung zugesprochen hatte, wies das LAG Berlin-Brandenburg die Klage ab.
Das BAG ersuchte schließlich den EuGH um die Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Dieses setzte das Verfahren mit Beschluss vom 17. März 2016 (Az.: 8 AZR 501/14 (A)) aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Sache vor. Die obersten deutschen Arbeitsrichter baten um Klärung, ob die Kirche selbst verbindlich bestimmen dürfte, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung ausmacht. Der EuGH antwortete mit einem Urt. v. 17.4.2018, Az.: C-414/16. Dieses Urteil setzte das BAG nun um.
Anmerkungen
1.
Die Entscheidung wurde zwar sofort nach seiner Verkündung am 25.10.2018 sachkundig, teilweise strikt ablehnend, beurteilt. Mit einer wesentlichen Änderung in späteren Entscheidungen ist jedoch nicht zu rechnen; auch wenn diese Rechtsprechung von Vielen sehr bedauert wird und das Bundesverfassungsgericht angerufenen werden kann. Die durch Art. 140 Grundgesetz (GG) inkorporierten Artikel 136 ff. der Weimarer Reichsverfassung (WRV) stellen weiterhin geltendes Verfassungsrecht dar. Art. 137 Abs. 3 WRV erlaubt den Kirchen ausdrücklich, die inneren Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten. Der EuGH hat dieses Verfassungsrecht selbstverständlich gekannt. Aber, die Weiche ist gestellt - vor allem durch das (europäische) Gemeinschaftsrecht und die allgemeine Rechtsprechungstendenz sowie die Politik. Zu erwarten sind lediglich Modifikationen zu Details und zahlreiche Streitigkeiten um die Anwendung des Urteils auf Einzelfälle.
2.
Die Kirchen beschäftigen in Deutschland, beide zusammengenommen, mit ihren Einrichtungen ungefähr eineinhalb Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist der größte Arbeitgeber nach dem Staat, wenn man alle Einrichtungen zusammenzählt. Insofern ist das eine Entscheidung, die nicht nur fachlich, sondern ebenso in der zahlenmäßigen Auswirkung selbstverständlich von ganz grundsätzlicher und weitreichender Bedeutung ist. Sie wird sich in alle Rechtsbereiche hinein erstrecken, als Erstes wohl in weitere Bereiche des Arbeitsrechts. An Gerichtsverfahren wird es nicht mangeln.
3.
Auch dieses Urteil bildet ein Beispiel dafür, dass eben auch bei ganz großen Projekten ganz zu Beginn weitreichende Konsequenzen offenbar nicht vorhergesehen und schon gar nicht bedacht werden. Gegenwärtig nicht zuletzt die vom EU-Recht beeinflussten Gebiete. Aufhalten lassen sich unerwünschte Entwicklungen nur noch ausnahmsweise, zumal sie teilweise befürwortet werden und sei es auch nur von kleineren Teilen. Eine einhellige Meinung gibt es so gut wie nie, wie jeder Soziologe weiß.
4.
Je mehr sich Leser in das Urteil vertiefen, desto stärker wird sich ein Teil der Leser fragen, welche Selbstbestimmungsrechte in welchem Maße und auf welchen Rechts- und Wirtschaftsbereichen nach und nach noch eingeschränkt werden.
5.
ACK ist die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen. In ihr haben sich Kirchen in Deutschland zusammengeschlossen, die sich zu Jesus Christus nach der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen.