EGMR, Entscheidung vom 18.9.2018, Beschwerde-Nr. 3413/09, Lachiric c. Belgique, in französischer Sprache.

Sachverhalt
Beschwert hatte sich eine Nebenklägerin muslimischen Glaubens. Sie war in einem belgischen Gerichtsverfahren im Jahr 2007 mit einem islamischen Kopftuch erschienen. Das Gesicht war nicht bedeckt. Der Vorsitzende der Kammer forderte die Nebenklägerin auf, das Kopftuch abzulegen oder den Gerichtssaal zu verlassen. Das Gericht stütze sich dabei auf Art. 759 der belgischen Zivilverfahrensordnung. Nach ihm muss sich derjenige, der einer mündlichen Verhandlung beiwohnt, offen, respektvoll und still verhalten, und nach ihm darf das Gericht Anordnungen zum ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens treffen.
Begründung des EGMR
Ein Kopftuch zu tragen, stellt einen religiösen Akt dar und ist von der Religionsfreiheit geschützt. Fraglich ist, ob im konkreten Fall der Eingriff durch die Einschränkungen des Art. 9 Abs. 2 EMRK gedeckt war. Das belgische Gesetz verfolgt zwar den legitimen Zweck zur Wahrung der öffentlichen Ordnung. Es geht jedoch aus den Umständen des Falls nicht hervor, dass die Nebenklägerin sich bei Eintritt in den Gerichtssaal nicht respektvoll verhalten hat, und dass dadurch der reibungslose Ablauf des Verfahrens gefährdet gewesen ist.
Anmerkung
Die Europäische Menschenrechtskonvention bestimmt:
Art. 9
Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
(2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.