Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.5.2018, Az. VI ZR 287/17 mit Hinweisen auf weitere Rechtsprechung, erschienen heute am 29.6.2018

Das Wichtigste aus dem Beschluss (Hervorhebungen vom Autor):
Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Er muss Gelegenheit haben, durch einen sachlich fundierten Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Aus diesem Grunde ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht nur dann verletzt, wenn das Gericht eine den Beteiligten selbst gesetzte Frist zur Äußerung mit seiner Entscheidung nicht abwartet, sondern auch dann, wenn das Gericht sofort entscheidet, ohne eine angemessene Frist abzuwarten, innerhalb deren eine eventuell beabsichtigte Stellungnahme unter normalen Umständen eingehen kann. Gleiches gilt, wenn die vom Gericht gesetzte Frist objektiv nicht ausreicht, um innerhalb der Frist eine sachlich fundierte Äußerung zum Sachverhalt und zur Rechtslage zu erbringen.
Anmerkung
Der Sachverhalt zu diesem Fall interessiert ganz speziell in der Praxis für eine Argumentation mit dem rechtsmethodischen Grundsatz der Gleichbewertung des Gleichsinnigen. Der Beschluss bezieht sich insbesondere auf den folgenden Sachverhalt:
Der Klägervertreter hatte mit Schriftsatz vom 9. Juni 2017, in dem er unter Hinweis auf seine urlaubsbedingte Ortsabwesenheit vom 9. Juni bis einschließlich 26. Juni 2017, die Notwendigkeit, ein weiteres Gespräch mit dem Kläger zu führen, und den Umstand, dass er der alleinige Sachbearbeiter der Angelegenheit sei, um Fristverlängerung bis 31. Juli 2017 gebeten hatte, klar zum Ausdruck gebracht, dass der Kläger innerhalb der gesetzten Frist zu einer sachgerechten Stellungnahme auf den 15seitigen Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts nicht in der Lage war. Mit diesen konkret vorgetragenen und im Rahmen der Entscheidung über die Fristverlängerung (§ 224 Abs. 2 ZPO) grundsätzlich erheblichen Gründen hat sich das Berufungsgericht in seinem Beschluss vom 12. Juni 2017, mit dem es den Fristverlängerungsantrag des Klägers zurückgewiesen hat, in keiner Weise befasst. Es hat lediglich pauschal auf seine allgemeinen Ausführungen unter Ziffer III. des Hinweisbeschlusses verwiesen (dort wurde schon früher im Vorgriff angekündigt, Fristverlängerungen seien später nicht möglich, weil Eventualitäten für später schon einberechnet worden seien.).
Nicht erwähnt der BGH den Fall, dass das Gericht unerwartet den Termin zur Verkündung einer Entscheidung vorverlegt; so vor kurzem in einer anderen Sache das LG München I mit der Begründung: „zur Beschleunigung des Verfahrens”.